Arbeitsrecht im Zeitalter von KI
Vom Urteil über Vergangenes zur Steuerung von Zukünftigem
Vor zwei Jahren klang Künstliche Intelligenz (KI) für viele Menschen noch wie Zukunftsmusik. Heute ist sie nicht nur in der Tech-Branche, sondern in der Arbeitswelt und auch im persönlichen Arbeitsalltag angekommen. Ob Chatbots für Kundenanfragen, automatische Lebenslaufanalyse, Tools für Projektplanung oder Übersetzungs-Apps: KI ist mitten unter uns. Und vieles verändert sich dadurch. Doch der schnelle technische Fortschritt stellt nicht nur Prozesse auf den Kopf, sondern auch das Arbeitsrecht vor neue Herausforderungen.
Gesetzliche Regelungen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) waren nicht auf diese Geschwindigkeit vorbereitet. Gleichzeitig arbeiten EU und Bundesregierung an ergänzenden Vorgaben allen voran die KI-Verordnung.
Für mich ist es keine Frage, ob wir KI Im Arbeitsrecht „brauchen“, sondern vielmehr die der Dosierung und der Kompetenz: Wie viel KI verträgt unsere Arbeitswelt und wie viel vertragen wir Menschen?
Berührungspunkte von KI und Arbeitsrecht
Künstliche Intelligenz ist bekanntermaßen im Kern ein System, das aus Daten lernt. Algorithmen analysieren große Datenmengen, erkennen Muster und treffen daraus Prognosen oder Vorschläge. Je besser und diverser die Daten, desto zuverlässiger die Ergebnisse und desto geringer das Risiko von Verzerrungen („Bias“).
Das Recht ist strukturell retrospektiv. Es entscheidet fast immer über bereits geschehene Sachverhalte und leitet aus vorhandenen Erfahrungen, Normen und Präzedenzfällen die Beurteilung ab. Gesetzgebung ist oft reaktiv, nicht proaktiv, und selbst dort, wo Recht „zukunftsorientiert“ wirken soll, basiert es auf bestehenden Mustern und bekannten Risiken.
Genau hier liegt die besondere Anschlussfähigkeit von KI ans Recht:
- KI Im Rechtsbereich muss keine radikal neuen Konzepte entwickeln, sondern kann auf bestehende Rechtsnormen, Urteile, Kommentare und Literatur zurückgreifen.
- KI kann in kürzester Zeit Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen neuen Fällen und Präzedenzfällen herausfiltern.
- Während wir Menschen stunden- oder tagelang recherchieren, kann KI in Sekunden Gesetzestexte, Rechtsprechung und Meinungsstände zusammentragen und gewichten.
- KI kann sofort prüfen, ob ein neues Urteil oder Gesetz mit bestehendem Recht kollidiert oder welche Regelungslücken entstehen.
Paradoxerweise birgt genau diese Leistungsfähigkeit erhebliche Risiken. Effizienzsteigerung, objektivere Entscheidungen und schnellere Informationsverarbeitung treffen auf Diskriminierung durch fehlerhafte Trainingsdaten, intransparente Entscheidungslogik, und Datenschutzverletzungen.
Rechtlich greift hier ein komplexer Rahmen:
- Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) [1] und § 26 BDSG [2] sichern den Beschäftigtendatenschutz. Arbeitgeber dürfen personenbezogene Daten nur verarbeiten, wenn dies für das Beschäftigungsverhältnis erforderlich ist oder eine Einwilligung vorliegt.
- Europäische KI-Verordnung (KI-VO / AI Act) [3]: Seit 2024 gilt für Arbeitgeber die Pflicht, KI-Systeme so einzusetzen, dass sie sicher, transparent und nachvollziehbar sind. Art. 4 schreibt zudem vor, dass Mitarbeitende mit ausreichender KI-Kompetenz ausgestattet werden müssen.
- Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) [4]: Bei Überwachung, Leistungs- oder Verhaltenskontrolle durch KI greift die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. § 80 Abs. 3 BetrVG verpflichtet, bei KI-Einsatz Sachverständige hinzuzuziehen.
Klar muss sein: KI im Unternehmen ist kein (reines) IT-Thema. Sie ist eine arbeitsrechtliche Gestaltungsaufgabe, bei der Technik, Kultur und Recht ineinandergreifen müssen.
Anwendungsfelder von KI im Unternehmen
Die Einsatzmöglichkeiten von KI in Unternehmen sind breit gefächert und reichen von einfachen Automatisierungen bis hin zu komplexen Entscheidungssystemen, die ganze Prozesse verändern können. Im administrativen Bereich entlasten KI-gestützte Tools zum Beispiel bei Terminplanung, Spesenabrechnungen oder der Erstellung standardisierter Dokumente. Auch im Wissensmanagement eröffnen sich neue Dimensionen: KI kann Informationen aus internen und externen Quellen automatisiert recherchieren, strukturieren, übersetzen und in verständlicher Form bereitstellen.
Besonders sichtbar wird das Potenzial im Personalbereich. Bei der Bewerberauswahl analysieren KI-Systeme Unterlagen, filtern nach definierten Kriterien und verkürzen so den Auswahlprozess. Im Social Recruiting identifiziert KI potenzielle Kandidat:innen in sozialen Netzwerken und spricht sie gezielt an. Selbst erste Vorstellungsgespräche können KI-gestützte Chatbots übernehmen, die strukturierte Informationen sammeln und den Auswahlprozess vorbereiten.
Im Personalmanagement reicht das Spektrum von der automatisierten Leistungsanalyse über personalisierte Onboarding-Programme bis hin zur kontinuierlichen Mitarbeiterentwicklung, bei der die KI Lernbedarfe erkennt und individuelle Lernpfade vorschlägt. Für die Personalbedarfsplanung kann KI anhand historischer und aktueller Daten Trends ableiten und den optimalen Personaleinsatz empfehlen.
Auch in der Arbeitsorganisation verändert KI Prozesse: Sie erstellt bedarfsgerechte Dienstpläne, die sowohl betriebliche Anforderungen als auch individuelle Wünsche berücksichtigen, und übernimmt Routineaufgaben wie Dateneingabe, Auswertung und Reporting.
Diese Vielfalt zeigt: Künstliche Intelligenz kann die Effizienz steigern und zugleich individuellere Lösungen ermöglichen, immer vorausgesetzt, ihre Anwendung erfolgt transparent, fair und im Einklang mit arbeitsrechtlichen Vorgaben.
Drei Szenarien mit arbeitsrechlichen Berührungspunkten
Werfen wir einen Blick auf drei Szenarien, in denen Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt und das Arbeitsrecht betroffen ist:
Szenario 1 – Recruiting mit KI
Ein mittelständischer Maschinenbauer sucht dringend Fachkräfte. Um den Berg an Bewerbungen zu bewältigen, setzt HR ein KI-gestütztes Tool ein. Es scannt Lebensläufe, erkennt Schlüsselqualifikationen und erstellt eine Rangliste. Die Personalabteilung (sofern sie überhaupt vorhanden ist) spart Wochen an manueller Sichtung.
Der Auswahlprozess wird schneller, objektiver und transparenter – zumindest auf den ersten Blick.
Wenn die Trainingsdaten der KI historische Bewerbungsentscheidungen widerspiegeln, können unbewusste Vorurteile fortgeschrieben werden (AGG). Außerdem müssen Bewerber:innen erfahren können, warum sie nicht berücksichtigt wurden (DSGVO).
Arbeitsrechtlicher Fokus: Der Betriebsrat muss eingebunden sein (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), Abläufe müssen dokumentiert werden und die finale Entscheidung liegt beim Menschen nicht bei der Maschine.
Szenario 2 – KI in der Teamzusammenarbeit
Ein global verteiltes Projektteam nutzt ein KI-Tool, das Meetings automatisch transkribiert, Aufgaben zuteilt und Prioritäten setzt. Morgens öffnet jede:r die App und weiß, was zu tun ist.
Die Chancen liegen im geringeren Abstimmungsaufwand, in klaren Strukturen und vermeiden To-Dos, die im Protokoll „versanden“.
Die permanente Protokollierung kann aber auch das Gefühl ständiger Kontrolle auslösen, was Persönlichkeitsrechte berührt. Auch kann die KI unbewusst Selbstorganisation ausbremsen, wenn Aufgaben nicht mehr eigenverantwortlich verteilt werden.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist ein Einsatz nur mit klaren Spielregeln in einer Betriebsvereinbarung, Transparenz über Funktionsweise und Freiwilligkeit bei sensiblen Daten sinnvoll und möglich.
Szenario 3 – KI in der Betriebsratsarbeit
Der Betriebsrat eines großen Handelsunternehmens arbeitet mit einem spezialisierten KI-Tool, das Gesetzesänderungen scannt, relevante Urteile zusammenfasst und Vorschläge für Betriebsvereinbarungen macht. Statt tagelang in Fachportalen zu recherchieren, steht mehr Zeit für Gespräche mit Beschäftigten zur Verfügung.
Aber: Vertrauliche Informationen dürfen nicht in unsichere Systeme gelangen. Der Anspruch des Betriebsrats auf Schulung und sichere Sachmittel (§ 80 Abs. 2 BetrVG) muss gewahrt bleiben.
Arbeitgeber sollten sichere Plattformen finanzieren und Schulungen anbieten. Eine KI kann Mitbestimmung nicht ersetzen, aber spürbar stärken und das im Sinne aller Beschäftigen und Unternehmer.
Diese drei Szenarien zeigen, wie vielfältig KI in der Arbeitswelt eingesetzt werden kann und dass Chancen und Risiken oft unmittelbar zusammenhängen. Effizienzgewinne, klare Strukturen und neue Freiräume auf der einen Seite, rechtliche Pflichten, ethische Fragen und Mitbestimmungsrechte auf der anderen.
Genau hier wird deutlich: Künstliche Intelligenz ist nicht einfach „da“. Sie muss gestaltet werden. Und zwar so, dass Technik und Mensch sich ergänzen, statt in Konkurrenz zu treten. Arbeitsrechtliche Leitplanken helfen dabei, den Rahmen zu sichern, in dem Innovation wirklich wirken kann und der Mensch nicht nur Mensch, sondern auch aktiver Entscheider bleibt.
Wir müssen als Personaler (und nicht nur als Arbeitsrechtler) also fragen: Wie gut ist dieser Rahmen heute schon für eine Technologie, die sich so rasant entwickelt? Und wo brauchen wir Anpassungen, damit er auch morgen noch trägt?
Rechtlicher Rahmen und offene Baustellen
Die EU-KI-Verordnung (AI Act, VO 2024/1689) gilt ab August 2026 vollumfänglich und reguliert KI-Systeme risikobasiert. Hochrisiko-Anwendungen – etwa im Recruiting, in der Leistungsbewertung oder Personalsteuerung – unterliegen strengen Pflichten zu Transparenz, Datenqualität, menschlicher Aufsicht und Datenschutzfolgenabschätzungen.
National greifen DSGVO und § 26 BDSG (Beschäftigtendatenschutz) sowie das BetrVG:
- § 80 BetrVG verpflichtet den Arbeitgeber, den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend zu informieren.
- § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gibt ein Mitbestimmungsrecht bei technischer Überwachung.
- § 90 BetrVG verlangt Anhörung vor Entscheidungen über KI-Einführungen.
Diese Vorgaben schaffen klare Spielregeln, die Vertrauen fördern, Akzeptanz erhöhen und Risiken wie Diskriminierung oder Datenschutzverstöße minimieren. Sie berühren zudem Haftungsfragen: Arbeitgeber müssen für fehlerhafte KI-Entscheidungen, etwa bei falschen Vertragsinhalten oder diskriminierenden Auswahlprozessen, Verantwortung übernehmen. Kündigungen und Aufhebungsverträge, die auf KI-Analysen beruhen, erfordern besondere Transparenz und die finale Entscheidungshoheit durch Menschen. Im Urheberrecht gilt es zu klären, wem KI-generierte Inhalte gehören und welche Nutzungsrechte bestehen.
Neben der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sollten Unternehmen eigene, praxisnahe Richtlinien für den KI-Einsatz entwickeln, etwa zu Transparenz, Datenzugang, Feedbackprozessen und Grenzen automatisierter Entscheidungen. Ein generelles Verbot kann Misstrauen schüren. Klare interne Standards signalisieren hingegen Kompetenz und Verantwortung.
Arbeitsrecht als Leitplanke – der Mensch bleibt am Steuer
Künstliche Intelligenz im Arbeitsalltag ist ein Werkzeug. Und wie jedes Werkzeug entfaltet KI ihr Potenzial erst, wenn wir es klug, fair und verantwortungsvoll einsetzen. Das Arbeitsrecht bietet dafür die Leitplanken: Es schützt vor Diskriminierung, sichert Datenschutz, sorgt für Transparenz und gibt Mitbestimmung Raum. Diese Regeln sind keine Innovationsbremse, sondern Vertrauensverstärker. Sie schaffen Akzeptanz bei allen Beteiligten.
Gleichzeitig gilt: Bedürfnisse von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Betriebsräten gleichermaßen müssen in die Gestaltung einfließen. Denn die Technik kann vieles analysieren und strukturieren, aber kreative Lösungen und Beziehungsarbeit sind immer noch zutiefst menschlich.
Rechtliche Beurteilung ist nicht nur Informationsverarbeitung, sondern Wertung. Recht lebt vom Kontext, von ethischen Abwägungen, von Interpretation. KI kann diese Abwägungen simulieren, aber (noch) nicht eigenständig verantworten. Deshalb kann sie im Recht enorm effizient unterstützen, aber nicht die letzte Entscheidung treffen. Die muss weiterhin ein Mensch verantworten.
Unternehmen benötigen die Offenheit für Dialog, den Mut zum Ausprobieren und den Willen, KI so einzusetzen, dass sie Menschen entlastet und nicht ersetzt. Mit klaren Regeln, transparenten Prozessen und einer agilen, lernbereiten Haltung machen wir aus KI keinen Kontrollmechanismus, sondern einen Produktivitätspartner, der uns hilft, die Arbeitswelt sicherer, fairer und menschlicher zu gestalten.
Hinweise:
Britta Redmann hat eine Reihe von sehr lesenswerten Büchern veröffentlicht. „Agile Arbeit rechtssicher gestalten“, „Lebensphasenorientiertes Leadership“ oder „Der erfolgreiche Antwalt: Mediation“ sind nur einige davon. Hier finden Sie eine Übersicht der Werke von Frau Redmann.
[1] Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
[2] Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)
[3] Verordnung über künstliche Intelligenz (KI-VO)
[4] Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Wollen Sie als Meinungsführerin oder Multiplikator das Thema Arbeitsrecht in Zeiten von KI weitertragen? Dann teilen Sie diesen Beitrag gerne in Ihrem Netzwerk oder auf Social Media.
Britta Redmann hat weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht, u. a.

Britta Redmann
Britta Redmann ist als Anwältin, Mediatorin und Coach selbständig tätig und verantwortet bei einem Softwarehersteller den Bereich HR & Corporate Development. Sie ist Autorin verschiedener Fachbücher. Als Personalleiterin hat sie in verschiedenen Branchen Organisationsentwicklungen begleitet, geleitet und arbeitsrechtlich umgesetzt. Ihre besondere Expertise liegt auf der Entwicklung von Organisationen bis hin zu agilen und vernetzten Formen der Zusammenarbeit. Moderne Konzepte, wie z.B. zu Agilität, Arbeit 4.0 und Digitalisierung werden von ihr arbeitsrechtlich transformiert und organisatorisch implementiert.
Im t2informatik Blog veröffentlichen wir Beträge für Menschen in Organisationen. Für diese Menschen entwickeln und modernisieren wir Software. Pragmatisch. ✔️ Persönlich. ✔️ Professionell. ✔️ Ein Klick hier und Sie erfahren mehr.