Alte Kultur statt New Work

Gastbeitrag von | 11.08.2022

Haka – Was Unternehmen von den Maori lernen können

Wir saßen in einem Co-Working-Space beim Mittagessen zusammen und begannen uns darüber zu unterhalten, was wir so machen und was uns umtreibt. Rebecca, die bisher einzige Deutsche, die in Neuseeland in Maori-Kultur promovierte, und Nico, der sich nach 33 Jahren in der Industrie als Coach und Organisationsentwickler selbstständig gemacht hatte.

Je mehr wir in die Welt des anderen eintauchten, desto klarer wurde uns vieles. Rebecca, dass ihr Wissen um die Kultur der Maori direkt anschlussfähig an aktuelle Trends wie „agil“ und „New Work“ ist; Nico, dass die aktuellen Konzepte der Organisationsentwicklung gar nicht so neu sind, denn viele Ansätze – die wir nachfolgend beschreiben – finden sich auch in der faszinierenden Welt dieser alten, ozeanischen Kultur.

Whakapapa – Wo wir herkommen und wer wir sind

„Mein Name ist Frank Müller, ich bin Geschäftsführer der XY GmbH.“

„Mein Name ist Gerhard Meier, ich bin Geschäftsführer der YZ AG.“

Vermutlich haben Sie auch schon solche Vorstellungsrunden erlebt, oder?

Nicht bei den Maori – sie begrüßen sich mit dem whakapapa, ihrer Genealogie, ihrer kompletten Herkunftsgeschichte. Sie erzählen sich nicht, welchen Titel sie GERADE HABEN, sondern wer sie SEIT IMMER und FÜR IMMER sind.

  • Wo komme ich her?
  • Wer sind meine Vorfahren?
  • Wo ist meine Heimat?

Viele Anknüpfungspunkte, die dazu beitragen, ein Verständnis für die Person, die vor einem steht, zu entwickeln.

Mana – Was uns ausmacht

Übersetzt in unseren Sprachgebrauch fallen uns als erstes die Begriffe „Ruf“ oder „Reputation“ ein, doch mana ist viel fluider und weitestgehend fremdzugeschrieben. Imagekampagnen sind diesem Konzept vollkommen fremd, weil man ist, was man tut.

Jede Handlung, jede gute wie schlechte Tat zahlt unmittelbar auf das mana ein und bestimmt, wie andere eine Person wahrnehmen. Das mana wirkt sich auf einen selbst wie auf die Familie und den Tribe aus.

Gerade im Bereich Leadership ist dabei interessant, dass mana nicht nur der Person zugeschrieben wird, die Verantwortung übernimmt, sondern in gleichem Maße der Person, die Verantwortung abgibt, Menschen etwas zutraut und sie dabei unterstützt. Einerseits ist es eine besondere Fähigkeit, das Leadership-Potential in anderen zu erkennen, andererseits ist es eine Verpflichtung, andere zu unterstützen. Das von Frithjof Bergmann bei der Einführung des Begriffes New Work gezeichnete Bild „einer Welt, in der jeder jeden stärkt“ wird bei den Maori aktiv gelebt. Es ist ein Gegenentwurf zu der „starken Hand“ einer Führungskraft, die allen anderen sagt, was sie zu tun haben – und dafür auch noch befördert wird.

Whanau – Die Familie um uns

In der Maori-Kultur wird das Wort whanau = (Kern-)Familie neben den verwandtschaftlichen Verhältnisse auch auf Gruppen von Menschen angewendet, die z.B. ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Ob Unternehmen, Studentengruppe oder Sportmannschaft, man ist Mitglied eine Gemeinschaft und im weitesten Sinne auch einer Familie.

Dies entspricht auf den ersten Blick der gerade in Unternehmen gerne bemühten Vorstellung „Wir sind hier alle eine Familie“, geht jedoch kulturell geprägt deutlich tiefer. Innerhalb der whanau unterstützt man sich gegenseitig, ohne Wenn und Aber und vor allem ohne Nachfrage. Die Familie gibt Richtung, stellt Ansprüche, bietet Schutz und Hilfe.

Ist ein Mitglied der whanau krank, steht Essen vor der Tür; besucht jemand für mehrere Tage einen tangihanga, das Begräbnis einer nahe stehenden Person, werden die Kinder betreut, der Haushalt versorgt und wie selbstverständlich alles erledigt, was zu tun ist.

Wie schön und einfach ließe sich dies bspw. auf Unternehmen und die leidvollen Diskussionen über Bring- oder Holschuld übertragen.

Wahine – Die Rolle der Frau

Das Konzept der Familie führt automatisch zu der Frage nach der Rolle der Frau in Gesellschaft und Unternehmen.

Zunächst die Tatsachen: Neuseeland ist das Land, in dem Frauen als Erstes das volle Wahlrecht hatten und bis heute taucht das Land in allen Statistiken weltweit unter den ersten 5 auf, wenn es um die Gleichstellung der Frau geht.

Dem zugrunde liegt ein Konzept, das uns auf den ersten Blick nicht nur fremd erscheint, sondern auch den meisten westlichen Gleichberechtigungsdiskussionen diametral gegenübersteht. Die Maori haben eine ganz besondere und tiefgründige Sicht auf Frauen: Frauen sind etwas Besonderes aufgrund ihrer „childbearing capacity“, der Fähigkeit Kinder zu gebären und Leben fortzupflanzen. Denn hier stellen sie das wakapapa sicher, die genalogische Linie der Familien.

Sie werden aber nicht darauf reduziert, denn, kulturell fest verankert, begegnen sich im Moment der Geburt, Leben und Tod. Es ist ein Ereignis, das Frauen besondere Kräfte verleiht und ihre Position in der Gesellschaft determiniert.

Dort wo biologische Tatsachen nicht als Nachteil gesehen werden, sondern zum Vorteil gereichen, muss man erst gar nicht über „Gleichberechtigung“ als soziales Konzept mit Quoten und Sprachregelungen diskutieren, sondern sie ist einfach da.

Sowohl in den Stämmen der Maori als auch in der gesamten neuseeländischen Gesellschaft ist klar:

Wahine Toa – Frauen sind stark und selbstverständlich können sie führen, Stämme wie Unternehmen.

Haka – Wo alles zusammenkommt

Wer ihn schon einmal gesehen hat, kann sich weder seinem Bann noch seiner urgewaltigen Kraft entziehen – der haka.

Heute in vielen Zusammenhängen zu beobachten, aber populär geworden durch die Inszenierungen der neuseeländischen Rugby Nationalmannschaft, den All Blacks, vor ihren Spielen.

Der haka, ein uraltes Ritual, das dem Gegner Respekt zollt, aber in (in diesem Fall) auch in Angst und Schrecken versetzen soll. Es symbolisiert: „Wir sind stark, wir haben keine Angst und sind eine Gemeinschaft. Wir werden gewinnen!“

Messungen an den Spielern haben dabei ergeben, dass nicht nur Atmung, sondern auch Herzschlag absolut synchronisiert sind. Sie befinden sich in einem Zustand geistiger Entrückung, tapu genannt. Mit sich, der Welt und den Menschen um sich herum im Einklang.

Auch hier ein Unterschied zu den bei Fußballspielen oft zu beobachtenden Spielerkreisen: Nach innen gekehrt, sich mit sich selber beschäftigend, dem Gegner den Rücken statt das Gesicht zukehrend und ohne Chance, die Gefahr von außen wahrzunehmen.

Dass der Name „Scrum“ für das zentrale Agile Framework von einer Spielsituation beim Rugby und nicht aus dem Fußball kommt, erscheint uns mehr als nur ein Fingerzeig.

Haka ist eines der zentralen Kulturelemente der Maori und lädt immer wieder dazu ein, sich mit den zentralen Fragen zu beschäftigen:

  • Wer sind wir?
  • Warum sind wir hier?
  • Wohin gehen wir?
  • Was ist unser Ziel?

 

Hinweise:

In diesem Artikel haben Dr. Rebecca Burke und Nicolas Korte nur einige Themen der Maori-Kultur gestreift und vereinfacht dargestellt. Aspekte wie kaitiakitanga, der Umgang mit Natur, das Verhalten gegenüber schwächeren oder die Maori-Prinzipien, die zu Höchstleistungskultur führen, haben hier keinen Platz mehr gefunden.

Wenn Sie sich für die Maori-Kultur interessieren, begegnen Sie der ihr mit Respekt, lassen Sie sich inspirieren, versuchen Sie aber bitte nicht, einzelne Elemente zu kopieren.

Und wenn Sie mehr über die komplexe Kultur erfahren wollen, die sich nicht einfach in einige wenige Worte fassen lässt, dann nehmen Sie gerne an einem Vortrag von Dr. Rebecca Burke und Nicolas Korte teil. Gerne stehen beide auch für persönliche Gespräche zur Verfügung. Zudem erscheint demnächst auch ein Buch zu dem Thema „Haka – Was Unternehmen von den Maori lernen können“.

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Dr. Rebecca Burke
Dr. Rebecca Burke

Rebecca Burke hat an der Ruhruniversität Bochum Geschichte und Kunstgeschichte studiert und während dieser Zeit im Kunst und Kultursektor gearbeitet. Nach ihrem Abschluss wanderte sie nach Neuseeland aus. Dort lernte sie auf vielfältige Weise eine neue Kultur kennen und entschied sich dazu, im Bereich Maori Kultur zu promovieren.

10 Jahre lang war die Te Herenga Waka Victoria University in Wellington ihre Heimat. Auch das National Museum Te Papa Tongarewa sowie der New Zealand Historic Places Trust wurden ihre professionelle Heimat, wo sie das Glück hatte, viele indigene Erfahrungen sammeln zu dürfen. Als Dozentin für Neuseeländische Geschichte, Mentorin, Stakeholder Liaison, Pädagogin und Wissenschaftlerin tauchte Rebecca in eine andere (kulturelle) Arbeitswelt ein und erlebte vieles, was sog. Outsidern normalerweise verschlossen bleibt.

Im Rahmen ihrer Promotion wurde Rebecca Burke mit unterschiedlichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet und entwickelte sich zu einem „go-between“, einer Wanderin zwischen den kulturellen Welten. Mit Stolz erfüllte Rebecca ihre Rolle für den Premierminister von Neuseeland, wo sie als Managerin für den Gouverneur-General und die Britische Krone das Museum im Gouvernement House aufbaute und leitete.

Derzeit ist Rebecca Burke die einzige Deutsche mit einem PhD in Maori Kultur und Geschichte und verfügt über ein weitreichendes internationales Netzwerk. Seit 2008 arbeitet sie beispielsweise mit unterschiedlichen Haka-Experten weltweit und gilt als nicht indigene Maori Expertin in Deutschland.

Sie berät zum Thema Maori und Neuseeland, ist als Dozentin tätig, und möchte dazu beitragen, Maori Kultur authentisch erlebbar zu machen und der Ausbeutung der Kultur entgegenzuwirken.

Nicolas Korte
Nicolas Korte

Nicolas Korte hat an der FH Aachen Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Kerntechnik studiert. Insgesamt 33 Jahre verfolgte er im Bereich Anlagenbau/Industrie eine „klassische“ Karriere. Über 25 Jahre war es als Führungskraft, davon 20 Jahre als Geschäftsführer, in verschiedenen Konzernen und mittelständischen Unternehmen tätig.

2017 kam er zum ersten mal mit dem Thema „agile Organisation“ in Berührung. Danach transformierte Nicolas nicht nur konsequent seine eigene Unternehmensgruppe, sondern auch sich selbst. Nach seiner Ausbildung zum systemischen Coach für Organisationsentwicklung machte er sich als Verbündeter für Veränderung selbstständig und unterstützt seither Unternehmen und Menschen bei Veränderungsprozessen.

Im t2informatik Blog hat Nicolas Korte zwei weitere Artikel veröffentlicht:

t2informatik Blog: Die radikale Transformation eines Maschinenbauers

Die radikale Transformation eines Maschinenbauers

Hypothesenbildung: Das vergessene Hilfsmittel - Blog - t2informatik

Hypothesenbildung: Das vergessene Hilfsmittel