Achtsamkeit als Chance für Innovation

Gastbeitrag von | 04.03.2024

Innovation ist eine Einladung, Neues zu Denken und aus diesem Denken Realität zu erschaffen. Wie kann Achtsamkeit bei der Entwicklung von Innovationen helfen?

Das Wort „Innovation“ stammt vom lateinischen „innovare“ ab und bedeutet erneuern. Die Innovationsforschung unterscheidet zwischen radikaler und inkrementeller Innovation. Radikal bezieht sich auf neue Produkte, Dienstleistungen, Angebote oder Geschäftsmodelle. Inkrementell beschreibt eine Innovation, die aus etwas Bestehendem entsteht.

Unternehmen gehen verschiedene Wege, um Innovation zu fördern. Sie unterstützen interne Forschungs- und Entwicklungseinheiten, Innovationsabteilungen oder interne Unternehmer, auch bekannt als Intrapreneurs, die sich innovativen Projekten widmen. Sie stellen Innovationsbudgets zur Verfügung oder veranstalten Hackathons, bei denen in kurzer Zeit aus Ideen Prototypen entstehen. Weitere Möglichkeiten sind die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen an Hochschulen und Universitäten, Ausgründungen (sogenannte Spin-Offs), der Kauf von Innovationen oder die Zusammenarbeit mit Startups.

Trotz dieser verschiedenen Wege verfehlen viele Innovationen ihre Ziele; insbesondere die Innovation von Geschäftsmodellen, die als die Königsdisziplin der Innovation gilt, ist in der Unternehmensrealität oft eine Herausforderung.

Herausforderungen bei der Innovation von Geschäftsmodellen

Unternehmen, die über lange Zeit ein erfolgreiches Geschäftsmodell verfolgen, etablieren häufig eine Art Norm, an die sich alle im Unternehmen gewöhnt haben. Routinen, Prozesse, Abläufe und Strategien sind auf dieses Geschäftsmodell ausgerichtet. Es hat sich in den Köpfen und Handlungen der Führungskräfte und Mitarbeiter verankert und vermittelt ein Gefühl der Sicherheit.

Diese Gefühl der Sicherheit trügt jedoch, denn die fortschreitende Digitalisierung zeigt oftmals, dass sich erfolgreiche Geschäftsmodelle weiterentwickeln oder erneuern müssen. Was gestern funktionierte, wird häufig morgen nicht mehr funktionieren. Doch neben dem trügerischen Gefühl der Sicherheit gibt es noch eine weitere Herausforderung, die leicht übersehen wird: der sogenannte Cognitive Bias.

Der Cognitive Bias beschreibt das menschliche Bedürfnis nach Bestätigung des Bekannten und vermeintlich Sicheren. Im Kontext der Innovation eines Geschäftsmodells suchen Menschen im Innovationsprozess nach bekannten Regeln, die dem alten Modell entsprechen und somit ihre bisherigen Annahmen und Entscheidungen bestätigen. Dadurch besteht jedoch die Gefahr, dass neue Ideen und Innovationen von vornherein ignoriert oder abgelehnt werden, weil sie sich unsicher, unbekannt und somit irrelevant anfühlen.

Wie kann Achtsamkeit Innovationen fördern?

Hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel. Wenn Innovation die Einladung ist, Neues zu denken und aus diesem Denken Realität zu erschaffen, dann ist Achtsamkeit die Einladung zu Präsenz. Es ist die Möglichkeit, bewusst mit allen Sinnen das Hier und Jetzt wahrzunehmen.

Die bewusste Wahrnehmung des aktuellen Moments kann Menschen in Unternehmen helfen, zu erkennen,

  • wo sich neue Chancen im Markt ergeben,
  • was nicht mehr funktioniert und – besonders wichtig –
  • woher die Angst vor Veränderung kommt und welche Sorgen mit neuen Ideen oder Innovationen einhergehen.

Und wie lässt sich der aktuelle Moment wahrnehmen? Mit Achtsamkeitspraktiken wie Yoga, Meditation, bewusstem Atmen oder achtsamem Gehen. Vielleicht klingt das etwas ungewohnt, doch die Neurowissenschaft belegt, dass bspw. bewusstes Atmen hilft, Ruhe und Gelassenheit zu steigern und die innere Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Durch das aktive Beruhigen des Nervensystems sind Praktizierende weniger im Stress und schaffen so Raum für aktive Entscheidungen. Stress löst Adrenalin und Noradrenalin aus – Hormone, die zwar eine schnelle Handlungsfähigkeit sichern, aber auch den sog. Fight-or-Flight-Modus auslösen, in welchem der Blick eng wird und man sich auf die schnellstmögliche Lösung für das aktuelle Problem konzentriert. Je niedriger der Stresslevel, desto weiter wird auch die Wahrnehmung und desto mehr Raum entsteht im Kopf, unterschiedliche Ideen und Lösungsansätze in Betracht zu ziehen.

Für die Innovation im Unternehmen kann das bedeuten, dass Innovationsverantwortliche merken, ob sie noch aktiv in der Gestaltung sind oder aus Angst und Ungewissheit Innovation behindern.

Wie helfen Achtsamkeitspraktiken bei Empathie, Resilienz oder Kreativität?

Achtsamkeitspraktiken wie Meditationen steigern das Mitgefühl und das Empathievermögen. Auch hier zeigt die Neurowissenschaft heute, wie unterschiedliche Areale des Gehirns durch entsprechende Übungen aktiviert werden.

Innovation erfordert die Gestaltung neuer Produkte, Services und Geschäftsmodelle mit Blick auf die sich ändernden Kundenbedürfnisse. Kunden haben heute einen erhöhten Anspruch auf vereinfachte Nutzbarkeit von Produkten und auf Nachhaltigkeit. Achtsamkeitspraktiken der Empathie helfen hier, den Nutzer im Blick zu behalten und Innovation für diesen zu gestalten. So entsteht nicht nur eine verbesserte Kundenorientierung, sondern auch mehr Agilität in Bezug auf das sich kontinuierlich verändernde Kundenverhalten.

Achtsamkeitspraktiken wie die sog. offene Meditation – eine Meditationsübung, die den Fokus auf die aufmerksame Wahrnehmung richtet, steigern die Aufmerksamkeit, die Offenheit und die Neugier. Die Ursprünge dieser Übungsform werden dem Zen-Buddhismus zugerechnet und oftmals als Königsdisziplin der Achtsamkeitspraxis bezeichnet, da es vielen Menschen schwerfällt, sich nicht in den wandernden Gedanken zu verlieren. Wohlgemerkt: Wir alle denken und unsere neuronalen Netzwerke „feuern“ eigentlich die ganze Zeit. Meditation und Achtsamkeit helfen oftmals, überhaupt erst wahrzunehmen, dass wir Denken und eben manche Gedanken auch einfach mal nicht denken dürfen. Die Praxis der offenen Meditation hilft also, Gedanken wahrzunehmen und sich diese anzuschauen. Sie unterstützt so auch darin, sich von bestehenden Glaubenssätzen und dem Cognitive Bias zu distanzieren und Platz für neue Ideen zu schaffen. So entsteht Kreativität, die für Innovationsprozesse essenziell ist.

Schlussendlich steigert eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis die Selbstwahrnehmung und das Selbstverständnis. Je länger Menschen Achtsamkeit praktizieren, desto mehr lernen sie sich selbst kennen. Achtsamkeitspraktizierende erleben so auch ein tieferes Verständnis von Sinn und Werten und es fällt ihnen leichter, diese in ihren Berufs- und Arbeitsalltag, wie z.B. in die Gestaltung von Innovation einzubringen. Mit Blick auf aktuelle Herausforderungen und Krisen kann so Innovation für die Zukunft entstehen, die ein Fundament in klaren Werten und Zielen der Innovationstreibenden hat. Gleichzeitig kann Achtsamkeit im Unternehmen allen in der Belegschaft helfen, sich auf Veränderung und neue Situationen einzulassen.

Empfehlungen für Innovationsgestalter

Wenn Sie sich darauf einlassen wollen, Achtsamkeit gezielt in Innovationsprozesse einfließen zu lassen, dann empfehle ich Ihnen gerne folgendes Vorgehen, bestehend aus fünf Schritten:

Schritt 1: Fokus auf den einzelnen Innovationsgestalter

In diesem Prozessschritt empfiehlt es sich, Achtsamkeitspraktiken der fokussierten Aufmerksamkeit, wie z. B. Atemübungen anzuwenden. Ziel dieses Schrittes ist es, Achtsamkeit kennenzulernen, die Selbstwahrnehmung zu erhöhen und zu erkennen, wann Widerstände entstehen.

Schritt 2: Fokus auf das Innovationsteam

In diesem Prozessschritt hilft eine Kombination aus Achtsamkeitsübungen der Empathie, welche die Kommunikation und die Co-Kreation im Team unterstützen. Das stärkt die Teamdynamik.

Schritt 3: Fokus auf die Akteure im Innovationsteam

In diesem Prozessschritt hilft eine Kombination aus Achtsamkeitsübungen, persönliche Erkenntnisse, individuelle Werte und Sinnverständnisse zu klären. Anschließend kann das Team gemeinsam klären, welche gemeinsamen Werte und welcher gemeinsame Sinn dem Innovationsteam zugrunde liegt.

Schritt 4: Fokus auf Team-Kreativität

In diesem Prozessschritt helfen Übungen der offenen Meditation, Ideengenerationsprozesse in Gang zu bringen und die Kreativität anzuregen.

Schritt 5: Fokus auf das größere Ziel der Innovation

Gemeinsame Visualisierungsübungen helfen, Ziele und Visionen im Innovationsteam in Einklang zu bringen, eine gemeinsame Motivation und Ausrichtung zu finden und die Idee in die Umsetzung zu bringen.

Schlussgedanken

Für mich gehen Achtsamkeit und Innovation Hand in Hand. Achtsamkeit und Achtsamkeitspraktiken helfen, den Innovationsoutput zu steigern, radikale Innovation zu treiben und erfolgreiche Innovation für die Zukunft zu sichern. Achtsamkeitspraktiken helfen auch, die gesamte Belegschaft auf der Reise der Innovation mitzunehmen und so innere Widerstände zu überwinden, die oftmals in der Kultur, in Strategien und Prozessen verankert sind.

Achtsamkeit ist eine Chance für Innovation und eine Einladung, neues Denken Realität werden zu lassen. Sind Sie bereit?

 

Hinweise:

Haben Sie Fragen oder Gedanken zu den Ausführungen von Dr. Martina Weifenbach, wollen Sie die Empfehlungen für Innovationsgestalter in die Praxis umsetzen, wissen aber noch nicht wie, dann sprechen Sie Frau Weifenbach einfach an. Und wenn Sie erstmal mehr von ihr hören wollen, dann gibt es im myndway Podcast etwas auf die Ohren.

Erfolgsformel Achtsamkeit. Gewusst führen, nachhaltig gewinnen“ heißt das aktuelle Buch von Dr. Martina Weifenbach. Dort finden Sie wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Artikel zu Achtsamkeit im Unternehmen, Achtsamkeit und Kreativität sowie Achtsamkeit als Weg zu Nachhaltigkeit.

Erfolgsformel Achtsamkeit

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Dr. Martina Weifenbach
Dr. Martina Weifenbach

Dr. Martina Weifenbach ist eine Vorreiterin in der Verbindung von Achtsamkeit, nachhaltiger Innovation und guter Arbeit. Sie ist Autorin von „Achtsamkeit und Innovation in integrierten Organisationen“ und „Erfolgsformel Achtsamkeit“, und arbeitet als Executive Coach und Geschäftsführerin von myndway. myndway ist ein Unternehmen, das Schulungen und Beratung in den Bereichen Mindful Leadership, mentale Gesundheit und nachhaltige Innovation anbietet.

Dr. Martina Weifenbach hat bereits über 1.000 Achtsamkeitstrainings für internationale Konzerne und mittelständische Unternehmen aus verschiedenen Branchen durchgeführt. Sie hat für Unternehmen wie die Deutsche Telekom, Google und Mercedes Benz sowie für Berliner Startups in den Bereichen Innovation, Strategie und Personal gearbeitet. Während ihrer Promotion an der Universität St. Gallen, am HIIG in Berlin und an der UC Berkeley hat sie ein Kognitionsmodell für die Gestaltung von Veränderungsprozessen entwickelt.

Als Keynote-Speakerin, Dozentin und Beraterin teilt Dr. Weifenbach ihre Vision von menschlichen und erfolgreichen Unternehmen mit der Welt. Die gebürtige Allgäuerin, die nach Berlin gekommen und geblieben ist, liebt Bergtouren, ihre Familie und das Eisbaden, was sie als Wim Hof Instruktorin weitergibt.