Inner Work – Die Auseinandersetzung mit sich selbst

Gastbeitrag von | 21.04.2022

“Ich gehe lieber acht Stunden ins Büro, als an mir selbst zu arbeiten!”

Die offene Auseinandersetzung mit sich selbst, das tiefe Schürfen im Unterbewussten, das Herauskitzeln nackter Wahrheiten, der rasierklingenscharfe Schmerz. Inner Work ist eines der schwierigsten, dramatischsten und zugleich schönsten Unterfangen unseres Daseins. Lassen wir uns darauf ein, können wir das erfüllendste aller Leben leben, intensivere Beziehungen führen, entspannter erfolgreich sein. Vermeiden wir die innere Auseinandersetzung dauerhaft, kann das dramatische Folgen für unsere persönliche und berufliche Lebensreise haben.

Innere Arbeit darf und muss wehtun

Innere Arbeit fühlt sich oft an wie der Pflichtbesuch beim Zahnarzt. Muss irgendwie und irgendwann gemacht werden, tut weh, können wir aber auch mal für eine längere Zeit schleifen lassen – ohne unmittelbare Folgen. Doch Sie wissen selbst: Schleifenlassen ist nie klug – es beraubt uns unserer Kraft und unserer Möglichkeiten. Dabei dreht sich Innere Arbeit um die eigenen Wünsche und Ziele, ums Wohlbefinden, um unsere Beziehungen und die Art und Weise, wie wir mit uns selbst und mit anderen umgehen. Das kann schon mal etwas ungemütlich werden.

Oft erlebe ich starken inneren Widerstand bei meinen Coachees, wenn wir tiefer in ihre Inner Work eintauchen. Viele haben Angst, dass das Leben sie in große Veränderungsprozesse drängt. Angst davor, plötzlich eine ganz andere zu sein und das alte Leben aufgeben zu müssen. Ich kann Sie beruhigen: Bei regelmäßiger und routinierter Inner Work werden Sie sich schleichend und behutsam “nur” in sich selbst verwandeln. In den Menschen, der Sie wirklich sind und der Sie sein möchten. Das braucht Zeit und Gelassenheit. Lassen Sie sich auf Ihre Inner-Work-Reise ein, können Sie mit täglichen Herausforderungen sehr viel reflektierter und leichter umgehen, bessere Entscheidungen treffen, sind zufriedener und ausgeglichener.

Bei all diesen positiven Effekten ergibt es doch großen Sinn, sich mit sich, seinen Herausforderungen, Ängsten, Zweifeln und Möglichkeiten auseinanderzusetzen? Warum ist es dennoch so schwierig, an sich selbst zu arbeiten, um sich zu kümmern, in sich hineinzuhorchen, Fragen zu stellen und Entscheidungen für sich selbst zu treffen? Vielleicht ist es Unwissenheit, vielleicht Angst, Bequemlichkeit oder Irrglaube, wenn wir uns wie ein bockiger Esel weigern, uns mit unseren Gedanken, Glaubenssätzen und Gefühlen zu beschäftigen? Dabei ist es so fundamental.

Es beginnt in uns selbst – und nur da

Innere Arbeit beginnt in uns selbst – natürlich. Man könnte annehmen, dass äußere Umstände oder herausfordernde Situationen zwangsläufig dazu führen, dass wir uns wirklich wichtige Fragen stellen (müssen). Fragen, die uns zu richtigen Antworten und somit zu soliden Lösungen führen. Leider ist es so nicht. Das hieße ja, sich diesen essentiellen Fragen zu stellen und stark genug für knallharte Antworten zu sein. Lieber winden wir uns raus, schürfen an der Oberfläche, lenken uns ab, geben anderen Menschen gut gemeinte Ratschläge, sagen ja, obwohl wir nein meinen und akzeptieren einen unzufriedenen Daseinszustand.

Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch unendliche Möglichkeiten hat, sein Leben selbst zu gestalten und in eine erwünschte Richtung zu lenken. Ja, auch Sie! Auch wenn es schwer zu fassen ist. Niemand zwingt Sie zu einem Leben, das Sie nicht erfüllt. Niemand zwingt Sie (hoffentlich) zu einem Job, den Sie nicht gerne machen. Niemand fordert Sie (hoffentlich) dazu auf, bessere Entscheidungen zu treffen, positivere Gedanken zu denken und nächsthöhere Gefühle zu fühlen. Der einzige Mensch, der Sie und Ihre Handlungen bewegen kann, sind Sie selbst. Lassen Sie das mal kurz sacken. Sie sind selbst verantwortlich für Ihre Gedanken, die zu Gefühlen führen, die wiederum Ihre Einstellung und Meinung beeinflussen, was Sie zu einer bestimmten Handlung animiert, die zu Ergebnissen führt.

Die Inner Work Gedankenspirale

Diese Kette ist wichtig zu verstehen. Ich nenne sie die “Inner Work Gedankenspirale” und als einfache Formel sieht sie so aus:

  • Situation führt zu Gedanken.
  • Gedanken führen zu Emotionen.
  • Emotionen führen zu Gefühlen.
  • Gefühle führen zu Einstellungen.
  • Einstellungen führen zu Handlungen.
  • Handlungen führen zu Ergebnissen.

Ich lade Sie nun auf ein Gedankenexperiment ein, mit dem Sie genau das lernen: Ihr Leben mit Hilfe der Inner Work Gedankenspirale selbst in die Hand zu nehmen.

Sind Sie bereit für eine kleine, kraftvolle Inner Work Übung, etwas Tiefgang und AHA’s?

Das innere Rockkonzert

Denken Sie an eine Situation, in der Sie sich tendenziell unwohl fühlen – es kann auch eine immer wiederkehrende Situation sein. Das kann ein unbequemes Gespräch sein, die anstehende Gehaltsverhandlung, die Vorbereitung auf eine Präsentation, der Konflikt in der Familie. Was immer es auch ist – es gibt kein richtig oder falsch. Was macht das mit Ihnen, wenn Sie an diese Situation denken? Schlägt Ihr Herz plötzlich schneller, bekommen Sie feuchte Hände, überschlagen sich Ihre Gedanken und werden Emotionen ausgelöst mit Sätzen wie: „Oh je, ich habe Angst. Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich werde nicht respektiert. Ich kann mir noch so viel Mühe geben, es ist nie genug, ich bin nie genug.“ Schreiben Sie die Gedanken auf. Es sind nur Gedanken, die ich gern das innere Rockkonzert nenne, das mal wieder viel zu laut ist.

Wie wäre es, wenn Sie diese Situation erst einmal als neutral betrachten – vielleicht als einen bloßen Termin oder ein sachliches Thema. Trauen Sie sich! So könnte beispielsweise ein anstehendes schwieriges Gespräch einfach nur ein Termin sein (was es faktisch auch ist).

Jede Situation ist ein äußerer Umstand

Entsprechend der Inner Work Gedankenspirale ist das anstehende Gespräch ein neutraler äußerer Umstand – ein Termin in Ihrem Kalender. Sobald Sie beginnen, über den Termin nachzudenken, geben Sie ihm eine Bedeutung. Somit wird er plötzlich zu einem Thema, das Ihnen entweder Freude bereitet oder Angst, Sorgen, Unsicherheiten hervorruft. An genau diesem Punkt greift die Gedankenspirale: Sie entscheiden, wie Sie mit dem Termin und ihren Gedanken umgehen.

Ich biete Ihnen zwei Möglichkeiten an:

Eins: Habe ich schon immer so gemacht.

Sie entscheiden sich für das, was Sie eventuell schon immer so gemacht haben: Für die Unsicherheit oder die Angst. Das bedeutet, sie vermeiden die innere Auseinandersetzung mit Ihren blockierenden, vielleicht sogar negativen Gedanken und werden so lange in dieser Emotion und diesen Gefühlen bleiben, bis der Termin – das Gespräch – endlich vorbei ist. Das wäre schade, denn damit berauben Sie sich aller Möglichkeiten, die dieses Gespräch für Sie bereithält. Sie machen sich klein, die ganze Zeit, und werden genauso von Ihrem Gegenüber wahrgenommen. Überlegen Sie, ob Sie das wirklich wollen.

Zwei: Raus aus der Komfortzone.

Sie entscheiden sich für die innere Auseinandersetzung mit Ihren Zweifeln, Sorgen der inneren Unruhe. Das wäre schlau, denn das versetzt Sie in positive Energie und ins Tun. Sie bereiten sich ganz anders auf das Gespräch vor und begegnen Ihrem Gegenüber mit Neugier und gut vorbereitet. Entscheiden Sie sich für diese Variante, könnten sich Ihre Zweifel und Sorgen wie von Zauberhand in freudige und erwartungsvolle Aufregung verwandeln und am Ende sind Sie stolz auf sich, dass Sie sich vorher zwei, drei mehr positive Gedanken gemacht haben (die Sie zu genau diesem positiven Ergebnis geführt haben).

Beide Varianten sind Ihre Entscheidung. Nur Ihre.

Drei Schritte zur Transformation

Sie fragen sich jetzt sicher: Wie soll denn das gehen?

Ganz einfach und zugleich nicht leicht. Jedoch ist es nur Übungssache. Je öfter Sie sich dieser drei Schritte bewusst sind und sie konsequent umsetzen, desto selbstsicherer werden Sie. Ich schlage vor, dass Sie in jeder kleinen verzwickten Situation üben.

Erster Schritt: Selbstbeobachtung

Befinden Sie sich in einer Situation, in der Sie sich unwohl oder ängstlich fühlen, gehen Sie in eine Helikopterposition. Nehmen Sie von dort aus Ihre Gedanken wahr, ohne etwas zu verändern. Nur beobachten, mit Neugier und Offenheit. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Adler, der ganz sanft auf Sie herabschaut, während Sie „da unten“ innerlich durchdrehen.

Fragen Sie sich: Wie reagiere ich auf diese Situation? Warum reagiere ich so? Wer ist an dieser Situation beteiligt? Wo findet die Situation statt? Gibt es erkennbare Muster? Was denke ich, was fühle ich? Spüre ich meine Zweifel irgendwo im Körper – wenn ja, wo?

Zweiter Schritt: Echt jetzt?

Gedanken sind nur Gedanken. Wir denken etwa 60.000 Gedanken am Tag. Der Großteil davon beruht auf vergangene Erfahrungen. Unser Gehirn ist permanent am Konstruieren und Abgleichen. Es ist also legitim, Ihre Gedanken zu hinterfragen, die Sie in dieser Situation haben. Das heißt jedoch nicht, dass sie echt sind.

Fragen Sie sich: Sind meine Gedanken wirklich wahr? Oder sind sie nur ein Versuch meines inneren Rockkonzerts, mich mal wieder so richtig aus der Bahn zu schleudern und unsicher zu machen? Sind diese Gedanken hilfreich in dieser Situation und dienen sie dem Ergebnis? War ich nicht schon so oft in meinem Leben in unbequemen Situationen wie diese und habe sie bisher immer gut gemeistert? Warum also gerade jetzt (wieder) diese Zweifel? Kann ich nicht darauf vertrauen, dass ich wie sonst auch immer, eine gute Performance abliefere? Welche Gedanken möchte ich also stattdessen haben?

Schon dieser Minischritt lässt Sie ganz bewusst mit Ihren Gedanken umgehen. Übrigens sind Sie mittendrin in Ihrer Inner Work.

Dritter Schritt: Handeln

Vertrauen Sie Ihren Erfahrungen, Ihrer Persönlichkeit und Ihren Stärken. Sie haben schon so viel erfolgreich gewuppt. Jede weitere schwierige Situation macht Sie stärker. In jedem weiteren Gespräch lernen Sie so unfassbar viel über sich und wie Sie aus Herausforderungen Möglichkeiten machen. Werden Sie sich dessen bewusst und handeln Sie entsprechend. Nichts kann Ihnen passieren. Sie können nur wachsen.

Nutzen Sie Ihren Geist und lassen Sie sich nicht von ihm benutzen

Wir haben dieses wunderbare Geschenk, ein Bewusstsein zu haben und komplex denken zu können. Und was machen wir die meiste Zeit? Wir lassen uns von unseren Gedanken wie Marionetten durch unser Leben schaukeln, fremdbestimmt, angsterfüllt.

Klar, es gibt Angenehmeres, als sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ich kann verstehen, wenn Menschen sich lieber mit Unwichtigem ablenken, als sich mutig dem inneren Rockkonzert zu stellen. Eine Inner Work Seminarteilnehmerin sagte letztens zu mir: “Ich gehe lieber acht Stunden ins Büro, als an mir selbst zu arbeiten.” Nachvollziehbar. Das entbindet Sie aber nicht von Ihrer eigenen Inner Work. Je unbequemer, desto besser!

Inner Work ist fundamental für ein erfülltes und erfolgreiches Leben!

Wie wäre es denn, wenn Sie sich mit dieser einfachen, aber kraftvollen Coachingübung – der Inner Work Gedankenspirale – heute entscheiden, Ihr Leben PROAKTIV und SELBSTBESTIMMT zu führen – mit Hilfe Ihres Geistes, Ihres Bewusstseins, Ihrer Gedanken? Fragen Sie sich täglich: Welche Gedanken möchte ich heute haben? Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Bewusstheit genau dorthin. Energie folgt immer der Aufmerksamkeit.

Fazit: Achten Sie auf Ihre Gedanken

Darum sollten Sie sich täglich der inneren Arbeit widmen:

  • Sie finden heraus, was Sie beschäftigt.
  • Sie heben alte Glaubenssätze und Muster ans Tageslicht.
  • Sie können diese Muster auflösen.
  • Sie verbinden sich mit dem, was Ihnen wirklich wichtig ist.
  • Sie merken, was Ihnen gut tut und was nicht – wo Sie Widerstände haben.
  • Sie werden achtsamer uns selbst und anderen gegenüber.
  • Sie verbessern Ihre Beziehungen und den Umgang miteinander.
  • Sie werden ruhiger, können besser mit Ängsten umgehen.
  • Sie treffen klarere Entscheidungen – FÜR sich.
  • Sie sind glücklicher, zufriedener, erfüllter, erfolgreicher.

Achten Sie auf Ihre Gedanken und übernehmen Sie Verantwortung für das Leben, das Sie führen möchten.

 

Hinweise:

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Janine Tychsen hat ein sehr lesenswertes Buch veröffentlicht: Frauen, geht in Führung! 90 Tage Führungsmuskeltraining.

Frauen, geht in Führung - Blog - t2informatik

Janine Tychsen hat weitere Beiträge im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Self Care: Schluss mit dem schlechten Gewissen

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t2informatik Blog: Führungsqualität Nummer 1: Self Care

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Janine Tychsen
Janine Tychsen

Janine Tychsen trainiert und coacht seit vielen Jahren Frauen in Führungspositionen in der Verwaltung, Wirtschaft und in Wissenschaftsorganisationen.

Ihre Mission: Frauen für Führung begeistern und sie darin ermutigen, selbstbestimmt, kreativ und mit innerer Stärke zu führen.

Ihr Motto: Frauen, geht in Führung! Von der Führungskraft zur Führungspersönlichkeit bis zum Führen als Vorbild.

Frau Tychsen arbeitet mit Frauen an ihren Führungs- und Kommunikationskompetenzen, ihrer Haltung zu Führung, ihrer inneren Einstellung und an Anforderungen und Herausforderungen, die an die Frau in Führung gestellt werden (wie Mitarbeiterumgang, Konflikt- und Krisenmanagement, Arbeits- und Zeitorganisation, schwierige Gespräche und Entscheidungen Umgang mit Arbeitsverweigerungen uvm.).