Die Entdeckung der Nachhaltigkeit
Anfang August las ich einen Tweet von Franziska Köppe, in dem es um die Frage „Was weißt Du über Fridays For Future?” bei einem Unternehmerfrühstück ging, die Franziska an einen Vertreter mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit stellte. Seine Antwort: „Das sind doch diese Kinder mit den Demos.” Franziskas Tweet klang fast verzweifelt: „ …wenn noch nicht mal die eigene Filterblase die Dringlichkeit erkennt.“
Ohne demjenigen, der die Aussage gemacht hat, Böses zu wollen, aber seine Antwort ist entlarvend. Sie steht stellvertretend für etwas, das uns jeden Tag im Arbeitsumfeld – ganz gleich ob es um Nachhaltigkeit geht oder nicht – begegnet: Geringschätzung oder Ignoranz, weil irgendjemand keine Lust oder Zeit hat oder auch nicht die Kompetenz, sich über den eigenen Tellerrand hinaus zu informieren. Oder wenn man dem Irrtum aufsitzt, das eigene aktuelle Wissen, die eigenen Kompetenzen, seien gut und ausreichend.
Toxische Arbeitskultur
Wenn ein 16-jähriges Mädchen klar und deutlich ausspricht, was weltweit bei den Themen Ökonomie und Ökologie schiefläuft und dafür in diversen Medien von Menschen angefeindet wird, die sich entweder noch nie oder schon sehr lange mit diesen Themen beschäftigen, dann darf man aufhorchen. Dann geht es nicht um die Sache, sondern um Machtverlust. Da fühlen sich Menschen angegriffen und ertappt und reagieren mit Geringschätzung, um von ihrer eigenen Unkenntnis oder gar Versagen abzulenken. Übertragen auf das tägliche Arbeitsumfeld, vergiftet ein solches Verhalten nicht nur die Arbeitskultur, sondern es ist ein klares Indiz für eine Arbeitskultur, in der Transformationsbemühungen mehrheitlich scheitern.
Es gibt aber eine gute Nachricht: immer mehr Menschen und Organisationen erkennen, dass sich etwas ändern muss und dass sie auch etwas ändern wollen. Ein besseres Miteinander, eine andere Form von Führung, reale Werte. Sie entdecken Nachhaltigkeit.
Wechselwirkungen in der Transformation
Niemand wird leugnen, dass Transformation eines der Schlagworte des Zeitgeistes ist, auch wenn uns klar sein muss, dass Transformation nicht plötzlich passiert, sondern ein immanenter Bestandteil jedes Daseins ist. Betriebswirtschaftliche Kausalitäten von Angebots- und Nachfragemärkten greifen aktuell nur noch bedingt, d.h. das Risiko, morgen mit dem eigenen Geschäftsmodell nicht mehr erfolgreich zu sein, steigt. Gleichzeitig werden auf politischer Ebene Rahmenbedingungen geschaffen, die künftig betriebliche Regularien vorsehen. Umso wichtiger werden einerseits sektorübergreifende Beobachtungen und deren Wechselwirkungen
- Ökonomie – Ökologie
- Ökologie – Soziales/Gesellschaft
- Soziales/Gesellschaft – Ökonomie
und andererseits jeweils ein individueller Mix aus flexiblen und stabilen internen Strukturen, um sich schneller anpassen zu können. Demnach steht längst auch Führung in Unternehmen auf dem Prüfstand und wandelt sich, d.h. sie wird moderativ, situativ und transformatorisch je nach Anforderungskontext. Damit ändern sich auch Arbeitsbeziehungen – sowohl intern als auch extern.
Auf der internen Ebene (innerbetriebliche Stakeholder) fördern folgende Führungsmerkmale die Beziehungen im Unternehmen:
- Führen durch Fragen (Begriffe klären/hinterfragen, dem Schweigen Raum geben)
- Balance aus Führen und Folgen („lernende Lehrer“)
- Balance der Werte (vgl. Competing Values Model)
- Balance in der Veränderung (nicht nur das Neue/Zukunft fokussieren, sondern das Alte/Vergangenheit integrieren)
- Kultur der Widersprüche / Kultur des „sowohl-als-auch“
Auf der externen Ebene (außerbetriebliche Stakeholder) lohnt es sich, sich die o.g. Merkmale für Kunden – und Lieferantenbeziehungen ebenfalls anzueignen. Nicht nur, weil die Beziehungen dadurch verlustfreier und verschwendungsärmer werden, sondern weil es auch wirtschaftlich sinnvoller ist. Für den Lebenszyklus eines Unternehmens ist es, spätestens jetzt Zeit, sich vom linearen Wachstumsdenken „höher, schneller, weiter“ zu verabschieden und in Netzwerken und Kreisläufen zu denken. Der Druck auf Unternehmen und damit auch der Druck auf Führungspersonen, sich dem Thema Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit zu widmen, wächst – von gesellschaftlicher (siehe #FridaysForFuture) als auch von politischer Seite.¹ Der Klimawandel hat explizit ökonomische Auswirkungen auf Unternehmen.
Nachhaltigkeit = Ökonomie, Ökologie und Soziales
Nachhaltigkeit beinhaltet eine hohe Komplexität, das Wort „nachhaltig“ lediglich mit „dauerhaft“ zu übersetzen greift deutlich zu kurz. Zum Thema Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung existieren diverse Konzepte, mit denen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien umsetzen können – alle basieren grundlegend auf Nachhaltigkeitsmodellen, die die Bereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales umfassen.
Der Bereich der Ökologie ist in diesem Modell traditionell am stärksten definiert, d.h. die Indikatoren in diesem Sektor können Unternehmen mit Hilfe zertifizierbarer Umwelt- und Energiemanagementsysteme umsetzen. Der Bereich Soziales ist grundsätzlich durch Compliance-Richtlinien und Arbeitsschutzgesetze gedeckt, etliche Firmen integrieren hier jedoch auch Gesundheitspräventionsprogramme und Weiterbildungsangebote. Ergänzend engagieren Unternehmen sich üblicherweise in sozialen und/oder regionalen Projekten/Initiativen. Mit der Global Reporting Initiative (GRI) gibt es einen sehr ausführlichen Berichtsrahmen, um die eigenen Nachhaltigkeitsaktivitäten zu dokumentieren; viele Nachhaltigkeitsberichte werden nach dem GRI-Standard verfasst. Verschiedene Initiativen, wie der „Deutsche Nachhaltigkeitskodex“ vereinfachen die Berichterstattung gerade für KMU, für die der GRI-Rahmen einen nicht unerheblichen Arbeitsaufwand verursacht.
Konzepte zur Umsetzung von Nachhaltigkeit
Es gibt eine Reihe von Konzepten zur konkreten Umsetzung von Nachhaltigkeit in Unternehmen. Hier finden Sie einige ohne Vollständigkeitsanspruch und ohne Ranking:
Corporate Social Responsibility
Das bekannteste und älteste Konzept zur Umsetzung ist nach wie vor Corporate Social Responsibility (CSR) – der Klassiker, ursprünglich basierend auf dem Modell der Triple-Bottom-Line wird seit einigen Jahren das integrative Modell präferiert. Mitunter wird „nur“ von Corporate Responsibility (CR) gesprochen sowie von Corporate Governance (CG), in jüngster Zeit taucht ergänzend der Begriff Corporate Digital Responsibility (CDR) auf. Ein ganz junger Begriff ist die Corporate Political Responsibility (CPR), die jedoch Ähnlichkeiten mit dem bereits bestehenden Corporate Citizenship (CC) hat.
Gemeinwohl-Ökonomie
Ein weitaus umfassenderes Konzept zur Umsetzung nachhaltiger Unternehmensentwicklung ist das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie mit der Gemeinwohl-Matrix, die 5 gemeinwohl-fördernde Werte (Menschenwürde, Solidarität, Ökologische Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit, Demokratische Mitbestimmung & Transparenz) umfasst. Die Matrix bildet das Verständnis eines gemeinwohl-fördernden Wirtschaftssystems ab, beteiligte Unternehmen erstellen eine Gemeinwohl-Bilanz.
B-Corp (B-Corporation)
B-Corp ist ein Zusammenschluss verschiedener internationaler Unternehmen und Organisationen mit eigenem Bewertungsmodell und Zertifizierung von Nachhaltigkeit. B-Corp-Unternehmen durchlaufen das B-Corp-Assessment in 3 Stufen und 4 Impact-Bereichen: Governance, Workers, Community, Environment.
Lean Production / Lean Management / Lean Leadership
Surprise! Ja, auch Lean darf man als Konzept zur Förderung von Nachhaltigkeit verstehen. In aller Kürze: Lean Production fokussiert die Effizienz und damit die Vermeidung von Ressourcenverschwendung. Lean Management und Lean Leadership leben – im Idealfall – die Kaizen-Kultur, Führung erfolgt durch Fragen und situativ-transformativ vor dem Hintergrund der permanenten Verbesserung.
Connecting Ecosystems
Der Bereich Ökonomie ist in allen vorigen Konzepten hauptsächlich mit den Indikatoren Governance, Transparenz oder/und Compliance sehr allgemein belegt. Konkrete Indikatoren, wie Organisationsmodelle und -strukturen, die zukunftsfähiges Wirtschaften fördern fehlen. Wir haben daher ein eigenes Modell der nachhaltigen Unternehmenskultur entworfen, das auf dem integrativen Nachhaltigkeitsmodell fußt. Unsere Weiterentwicklung besteht in der Konkretisierung des Sektors Ökonomie sowie der Ergänzung der Sektoren Soziales um New Work und Ökologie um das Thema Circular Economy/Kreislaufwirtschaft.
Orientierungsmodelle mit verschiedenen Ansätzen
Purpose-Unternehmen
„Purpose“ (übersetzt: Zweck des Unternehmens) fokussiert – im internationalen Kontext verstanden – ebenfalls eine nachhaltige Ausrichtung von Unternehmen – statt dem Shareholder-Value soll das Stakeholder-Value in den Vordergrund rutschen. International ist der Begriff vage gefasst und nicht mit einem Konzept hinterlegt. In Deutschland gibt es jedoch die Purpose-Stiftung, die ein explizites Konzept hat: beteiligte Unternehmen verpflichten sich vertraglich, Gewinne ins Unternehmen zu reinvestieren und das Unternehmen nicht an Investoren zu verkaufen.
Social Entrepreneurship
Kein Konzept, sondern eher eine eigene Wirtschaftsrichtung ist die wachsende Gruppe der „Social Entrepreneurs“ – Unternehmen, die mit ihren Geschäftsmodellen soziale und/oder ökologische Probleme lösen wollen.
Circular Economy
Bei der Circular Economy steht das Material im Vordergrund. Unternehmen der Circular Economy designen Produkte so, dass sie entweder in einem technischen Kreislauf verlustfrei recycelt werden können oder in einem biologischen Kreislauf abgebaut werden können. Akteure und Treiber in diesem Feld sind u.a. die Ellen-McArthur-Foundation oder die Cradle-To-Cradle-Bewegung um Michael Braungart.
Donut-Ökonomie
Die britische Ökonomin Kate Raworth entwarf mit der Metaper des Donuts eine Wirtschaftsalternative, die sie in ihrem Buch „Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört“ (2018) beschreibt. Stellt man sich den Donut vor, dann beschreibt der äußere Ring die Begrenzung der Wirtschaft durch die ökologischen Grenzen des Planeten, der innere Ring das gesellschaftliche, soziale Fundament. Die Aufgabe der Ökonomie sei es, lt. Raworth, innerhalb der Grenzen zu steuern.
Die großen Stellschrauben für Unternehmen
Es ist wichtig zu wissen, dass weder das eine noch das andere Modell oder Konzept besser ist als das andere. Sinnvoll für jedes Unternehmen ist es jedoch, sich der Wechselwirkungen der drei Sektoren Ökonomie, Ökologie und Soziales bewusst zu werden. Die Wahl des Konzeptes hängt von der individuellen Ausgangslage und den eigenen Ressourcen ab. Ebenso ist der Erfolg abhängig von Führungsentscheidungen – je besser Mitarbeitende eingebunden werden, desto erfolgreicher. Denn es sollte klar sein, dass Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die zu Lasten des Arbeitsaufwandes der Mitarbeitenden gehen, nichts mit Nachhaltigkeit zu tun haben.
Unabhängig von Konzepten und Modellen, gibt es für Unternehmen zwei große Stellschrauben, an denen insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung gedreht werden kann:
- Energie und
- Mobilität.
Die Umstellung auf Ökostrom ist der erste konkrete Schritt, der meistens recht kurzfristig angegangen werden kann. Beim Thema Mobilität stehen Logistik, Dienstreisen und Firmenwagen auf dem Prüfstand: Was und wie viel kann durch alternative Konzepte ersetzt werden?
Also, worauf noch warten? Viel Spaß beim Umsetzen!
Übrigens: „die Kinder mit den Demos“ organisieren sich nahezu perfekt in Selbstorganisation mit schnellen Entscheidungsmethoden, wertschätzender Kommunikation und Experimentierfreude. Man darf, kann und sollte von ihnen lernen.
Hinweise:
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Mehr von Daniela Röcker können Sie in ihrem Blog unter https://kultur-komplizen.de/komplizenblog/ lesen. Es lohnt sich.
[1] Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit: Agenda 2030 der Bundesregierung
Weitere Links:
Global Reporting Initiative: https://www.globalreporting.org/
Deutscher Nachhaltigkeitskode: https://www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/
Circular Economy: https://www.ellenmacarthurfoundation.org
Circular Economy Initiative Deutschland: https://www.circular-economy-initiative.de
Daniela Röcker hat im t2informatik Blog drei weitere Beiträge veröffentlicht:
Daniela Röcker
Daniela Röcker begleitet als Organisationsentwicklerin und Beraterin mit den Kultur-Komplizen Unternehmen im Kontext Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Ihr Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, damit Mitarbeiter:innen, Führungspersonen und Teams eigenständig Veränderungen umsetzen können. Als Instrument dient ihr u.a. das 2019 selbst entwickelte “Culture Profiling”, dass gemeinsam mit Praxispartnern iterativ weiterentwickelt wird. Die Kultur-Komplizen engagieren sich im Kernteam der #EntrepreneursForFuture Region Stuttgart.