Wie funktioniert wertschöpfendes Offboarding?

Gastbeitrag von | 03.06.2024

Die Macht des Zuhörens: Warum menschenzentriertes Offboarding die Wertschöpfung eines Unternehmens auf den Kopf stellt!

In meinem Berufsleben hatte ich sechs Arbeitgeber. Bei vier davon habe ich selbst gekündigt. Nachdem ich dort mein Bestes gegeben und nachweislich zum Erfolg des Unternehmens beigetragen hatte. Na ja, mein erster Job war wirklich nicht das Richtige für mich. Aber da habe ich gekündigt, weil meine Chefin mir verboten hat, meiner Kollegin zu helfen, wenn sie mehr zu tun hatte als ich. Das waren andere Zeiten! Zusammenarbeit und Teamgeist standen nicht hoch im Kurs.

Während der Einstellungsprozess sehr ausgefeilt war und die Bewerber:innen im direkten Vergleich befragt wurden, war der Austrittsprozess in einem Wort erzählt: Kurz! [1] Ich hatte einfach meinen letzten Tag und dann war ich weg. Keine Frage, warum ich gekündigt habe. Niemand wusste, was in unserer Abteilung los war. Dass unsere Chefin uns ewig auf den Urlaub warten ließ, der uns zustand. Sie uns auf kleinen Höckerchen vor ihrem Schreibtisch sitzen ließ, während sie die Aufgaben für den Tag verteilte. Nein, ich war keine Hilfsarbeiterin, sondern hatte meine kaufmännische Ausbildung mit Bravour bestanden und war voller Tatendrang. Von Augenhöhe keine Spur.

Nach dieser im wahrsten Sinne des Wortes demütigenden Erfahrung startete ich im HR-Bereich durch. Ich habe das Geschäft von der Pike auf gelernt. Ich habe hunderte von Recruiting-Prozessen durchgeführt, Menschen für das Unternehmen begeistert und sie während ihrer Tätigkeit begleitet und unterstützt. Später kam die Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung hinzu und ich kam mit dem Thema Augenhöhe in Berührung. Ich war begeistert von den Reaktionen der Menschen, denen mit Respekt und Wertschätzung begegnet wurde und habe diese Erkenntnisse ins Unternehmen getragen. Meine Vorgesetzten waren ebenso begeistert und unterstützten mich dabei, die notwendigen Veränderungen voranzutreiben. Mit Erfolg. Ich fühlte mich pudelwohl und genau am richtigen Platz.

Was Studien zur Wirkung von Mitarbeiterbeteiligung seit Jahren belegen, zeigte sich auch bei uns. Die neue Kultur der Mitbestimmung führte auch in unserem Unternehmen zu einer höheren Mitarbeiterbindung, zu mehr Leistung und zu einer geringeren Fluktuation. [2] Das war natürlich toll für unsere Personalabteilung, die sich endlich dem Thema Employer Branding widmen konnte, denn das Image des Unternehmens verbesserte sich kontinuierlich.

Wie heißt es so schön: „Alles bleibt anders“. Denn mit dem Wechsel des Global CEO im Mutterkonzern wehte plötzlich ein anderer Wind. Die Mitbestimmung wurde erst in Frage gestellt und dann abgeschafft. Ich war geschockt, wütend, versuchte zu argumentieren, unsere Erfolge aufzuzeigen. Auch unser lokales Management tat sein Bestes, um das neue Management zu überzeugen. Ohne Erfolg.

Also kündigte ich. Schweren Herzens. Zum vierten Mal. Und obwohl mein disziplinarischer Vorgesetzter die Gründe kannte, wollte mein fachlicher Vorgesetzter kein Gespräch mit mir führen. Nicht einmal ein klassisches Austrittsgespräch fand statt. Ich bekam sogar ein Video mit individuellen Abschiedsbotschaften von meinen Kolleg:innen. Ich war zu Tränen gerührt.

Ob ich zum Abschied ein “goldenes” Rückfahrtticket bekommen habe? Leider nein.

Wäre ich bereit gewesen zurückzukehren? Vielleicht ja. Aber nur, wenn sich wirklich nachhaltig etwas im Unternehmen verändert hätte.

Damit gehöre ich zur Gruppe der „Skeptiker“, wie die Königsteiner Gruppe in einer Studie aus dem Jahr 2022 veröffentlichte. [3] 1.016 berufstätige Arbeitnehmer:innen wurden befragt und immerhin 43 % der Arbeitnehmer:innen konnten sich vorstellen, zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber zurückzukehren. Gründe hierfür wären vor allem die Rückkehr zu einer gewohnten Arbeitsroutine, die Vorstellung von einem Gehaltssprung oder weil die ehemaligen Kolleg:innen vermisst werden. Dies sind jedoch hypothetische Aussagen, denn tatsächlich kehren nur 5 % der ehemaligen Mitarbeiter:innen zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber zurück. Immerhin 21 % der ehemaligen Mitarbeiter:innen warten auf die Initiative ihres ehemaligen Arbeitgebers. Diese Chance wird offensichtlich nicht genutzt.

Sogenannte „Bumerang-Mitarbeitende“ erleichtern die Rekrutierung. Gerade die Generationen Y und Z können sich vorstellen, später zurückzukehren, nachdem sie sich in anderen Unternehmen ausprobiert haben. [4] Allerdings nur, wenn der Abschied erfolgreich und wertschätzend war und die Arbeitsbedingungen mindestens gleich gut geblieben sind.

Der Offboarding-Prozess wird daher zu einem immer wichtigeren Meilenstein der Employee Experience. Denn wie das Ende der Zusammenarbeit gestaltet wird, prägt sich ein. Der erste Eindruck zählt, aber der letzte Eindruck bleibt für immer! Wertschätzend sollte und muss mindestens der Abschied sein. Denn ehemalige Arbeitnehmende sind wertvolle Botschafter:innen des Unternehmens. Je nachdem, wie sie den Abschied erlebt haben, werden sie darüber berichten. So oder so! Das Arbeitgeber-Bewertungsportal ist voll von Bewertungen ehemaliger Mitarbeiter:innen. Viele davon sind negativ. Dagegen wehren sich inzwischen erste Arbeitgeber, denn die Anonymität schützt die Bewertenden. Aber auch Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis haben eine große Wirkung, denn viele Mitarbeiter:innen kommen auf Empfehlung ins Unternehmen.

Doch soweit muss es gar nicht kommen. Denn wenn Arbeitgebende verstehen, dass ein strukturiertes und vor allem auf den Menschen ausgerichtetes Offboarding eine riesige Chance ist, die Wertschöpfung des Unternehmens zu verbessern, profitieren alle Beteiligten.

Erfolgreiche Team-Retrospektiven: Eine Geschichte von Vertrauen, Veränderung und positivem Wandel

Genau wie ich hat Sophie eine Leidenschaft. Sie ist keine gewöhnliche Angestellte. Sie hat einen Master in Internationalem Marketing und spricht fließend Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch. Sie hat für einen internationalen Konzern in den Benelux-Ländern und sogar in Mexiko gearbeitet. Sie investierte ihr Wissen und ihre Energie in die Entwicklung und Umsetzung von Marketingstrategien und trug so zum Erfolg des Unternehmens bei. Gleichzeitig war sie müde und erschöpft von dem hohen Leistungsdruck, den sie sich zum Teil selbst auferlegt hatte.

Sophie hatte eine beeindruckende Karriere hinter sich, als das Unternehmen in Schwierigkeiten geriet. Sie spürte die Auswirkungen der anhaltend schlechten Auftragslage und musste sich der Realität stellen, als sie ihre Kündigung erhielt.

Doch was das traurige Ende einer langen Karriere hätte sein können, wurde dank der Initiative ihres Arbeitgebers zu einem Neuanfang. Statt des üblichen technischen Offboardings, bei dem sie ihren Laptop und ihren Firmenwagen hätte zurückgeben müssen, entschied sich das Unternehmen für eine moderierte Team-Retrospektive. Ziel war es, wertvolles Feedback zu erhalten, um die Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu verbessern. Und nicht nur von ihr!

Unter der Leitung einer erfahrenen Moderatorin kamen Sophie und drei ihrer engsten Kolleginnen und Kollegen (die von Sophie eingeladen worden waren) zusammen, um offen und ehrlich über ihre Erfahrungen mit dem Arbeitgeber zu sprechen und die Zusammenarbeit zu reflektieren. Jeder hatte die Möglichkeit, Feedback zu geben und seine Gedanken und Gefühle mitzuteilen, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen.

Während der einstündigen Team-Retrospektive erhielt Sophie wertvolles Feedback von ihren Kolleg:innen, welches sie sowohl ermutigte als auch herausforderte. Sophie ihrerseits gab ihren drei Teamkolleg:innen Feedback darüber, was sie an ihnen schätzt, was sie vermisst und was sie von ihnen gelernt hat. Anschließend wurden die vier gebeten, ihre Gedanken und Bedenken bezüglich ihres Arbeitgebers zu äußern. Sophie und ihre drei Kolleginnen und Kollegen sagten klar und deutlich, was sie an den Arbeitsbedingungen, den Abläufen und den Führungskräften störte.

Die gesammelten Informationen wurden auf Flipchart-Papier festgehalten und am Ende der Team-Retrospektive gemeinsam diskutiert und reflektiert. Es war ein Moment der Klarheit und des gegenseitigen Verständnisses, der den Grundstein für positive Veränderungen im Unternehmen legte.

Das Unternehmen beschloss, die Ergebnisse der folgenden Team-Retrospektiven über einen Zeitraum von sechs Monaten zu sammeln. Die Moderatorin sammelte alle Informationen und stellte sie dem Unternehmen anonymisiert zur Verfügung. Auf diese Weise kristallisierten sich die Top 3 Pain Points der Mitarbeiter heraus.

Die Personalabteilung erhielt den Auftrag, konkrete Maßnahmen zu erarbeiten und wurde dabei unterstützt, damit sich die Arbeitsbedingungen tatsächlich verbessern. So wie Sophie ging es wahrscheinlich auch anderen in der Organisation. Erschöpfung wurde als eines der Hauptprobleme identifiziert. Und weil partizipative Entscheidungen so wichtig sind, um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen, wurden regelmäßige Workshops eingeführt, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigt wurden, sich aktiv an der Gestaltung ihres Arbeitsumfelds zu beteiligen.

Langsam aber sicher verbesserte sich die Stimmung im Unternehmen. Die Mitarbeitenden fühlten sich gehört und wertgeschätzt, das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Belegschaft wuchs von Tag zu Tag. Positive Veränderungen wurden sichtbar, sowohl im Arbeitsklima als auch in der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter.

Sophie wurde mit einer Rede ihres Vorgesetzten, einem großen Blumenstrauß und Geschenken ihrer Abteilung verabschiedet. Außerdem erhielt sie von ihrem Arbeitgeber eine goldene Rückfahrkarte, die sie berechtigt, bei künftigen Vakanzen auf jeden Fall berücksichtigt zu werden.

Das Unternehmen kam aus der Krise, und die Mitarbeiter waren stolz darauf, Teil einer Organisation zu sein, die bereit war, zuzuhören und zu lernen. Die positiven Veränderungen sprachen sich herum, und das Unternehmen konnte seine Rekrutierungsbemühungen erfolgreich vorantreiben, während die Mitarbeiterbindung stieg und die Fluktuation sank. Sophie, die weiterhin den Newsletter ihres Arbeitgebers erhielt, erfuhr von den positiven Veränderungen. Und als eine Stelle im Marketing frei wurde, rief die Personalleiterin sie an und bot ihr ein Vorstellungsgespräch an.

Sophies Geschichte ist ein inspirierendes Beispiel dafür, wie Team-Retrospektiven dazu beitragen können, Vertrauen aufzubauen, Veränderungen anzustoßen und positive Ergebnisse zu erzielen. Durch offene Kommunikation und gegenseitiges Verständnis können Unternehmen und ihre Mitarbeiter gemeinsam Hindernisse überwinden und eine bessere Zukunft aufbauen.

Klassisches vs. wertschöpfendes und wertschätzendes Offboarding

Auch bei inspirienden Geschichten wie die von Sophie und ihrem Unternehmen ist es wichtig, die sachlichen Hintergründe zu beleuchten. Ein strukturierter und personenzentrierter Offboarding-Prozess, der nicht nur einen reibungslosen Übergang des Mitarbeiters sicherstellt, sondern auch Raum für Feedback und Reflexion bietet, kann dazu beitragen, die Mitarbeiterbindung zu stärken, das Unternehmensimage zu verbessern und die Fluktuation zu reduzieren.

Der klassische Offboarding-Prozess besteht üblicherweise aus folgenden Schritten:

  1. Entgegennahme der Kündigung / Übergabe des Kündigungsschreibens mit Raum für ein erstes Gespräch über die Gründe.
  2. Kommunikation der Kündigung an das Team oder die Führungskraft / HR, je nachdem, wo die Kündigung eingereicht wurde.
  3. Sicherstellung des Wissenstransfers (die Bereitschaft des ausscheidenden Mitarbeiters, sein Wissen weiterzugeben, wird stark durch den Umgang mit ihm in der Phase des Abschieds beeinflusst).
  4. Austrittsgespräch zwischen HR und dem ausscheidenden Mitarbeiter (administrative Dinge sowie Abfrage der Kündigungsgründe).
  5. Rückgabe der Arbeitsmittel (Laptop, Firmenwagen, Werkzeuge etc.).
  6. Schließung aller Firmenzugänge (E-Mail-Account, Zugang zum Firmengebäude, Zugang zu Software etc.).
  7. Aktualisierung des Organigramms.
  8. Auszahlung des letzten Gehalts und der Sozialleistungen.
  9. In Kontakt bleiben.

Der wertschöpfende und wertschätzende Offboarding-Prozess hat eine etwas andere Struktur. Er baut auf dem klassischen Offboarding auf, rückt das Feedback der Menschen in den Mittelpunkt und stellt sicher, dass das Unternehmen aus jedem Austritt lernen kann. Er basiert auf drei Säulen:

Drei Säulen beim wertschöpfenden Offboarding

1. Team-Retrospektive

  • Die Team-Retrospektive ist multiperspektivisch, da das Feedback von vier Personen gegeben wird (dem ausscheidenden Mitarbeiter und drei Kolleg:innen seines Teams), während das Exit-Interview eindimensional ist und lediglich die Perspektive des ausscheidenden Mitarbeiters widerspiegelt.
  • Dauer: ca. 60 Minuten.
  • Durchführung: in einem geschützten Raum durch einen erfahrenen Teamcoach/Moderator.
  • Ziel: Aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft besser zu gestalten.

2. Job-Feedback

  • Das Job-Feedback ist ein individuelles Dokument, das die Stärken des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin hervorhebt und am Ende der Zusammenarbeit ausgehändigt wird.
  • Der Inhalt kommt u.a. von den Kolleg:innen, die an der Team-Retrospektive teilgenommen haben und wird auch von ihnen unterschrieben (nicht von der Führungskraft).
  • Das Job-Feedback ist aktuell, glaubwürdig, individuell und multiperspektivisch.

3. Kontakt halten

  • Über Social Media vernetzen, liken, kommentieren etc.
  • zu Firmenveranstaltungen einladen
  • im Firmen-Chat lassen (Whatsapp o.ä.)
  • Newsletter verschicken
  • zum Geburtstag gratulieren
  • Alumni-Communities gründen
  • Welcome-Back-Ticket (Gesprächsgarantie bei neuen Vakanzen)

Bei der Gestaltung eines wertschöpfenden und wertschätzenden Offboarding-Prozesses sind viele weitere Aspekte zu berücksichtigen. Dazu gehören die Rolle der Führungskräfte, die Bedeutung einer offenen Unternehmenskultur und die Integration von Offboarding-Ritualen in den gesamten Lebenszyklus des Mitarbeiters. Es ist wichtig, dass Unternehmen diese Aspekte sorgfältig prüfen und geeignete Maßnahmen ergreifen, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Mitarbeiter sowohl während ihrer Beschäftigung als auch beim Ausscheiden aus dem Unternehmen geschätzt und unterstützt fühlen.

Zusammenfassung

Die Geschichten von Sophie und mir zeigen, welche Auswirkungen ein gut durchdachter Offboarding-Prozess haben kann und welche Folgen es hat, wenn ein solcher Prozess nicht stattfindet. Es ist an der Zeit, dass Unternehmen die Bedeutung von Wertschätzung, Feedback und Zusammenarbeit erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, um ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Mitarbeiter entfalten können. Durch die Einführung strukturierter und menschenzentrierter Offboarding-Rituale können Unternehmen nicht nur ihren Mitarbeitern einen würdigen Abschied bereiten, sondern auch die Grundlage für langfristigen Erfolg und Wachstum schaffen.

Extra-Bonus

Hier finden Sie 3 zusätzliche Fragen zu wertschätzendem Offboarding, die Natalia Hoffmann-Demsing beantwortet (bitte auf Plus klicken):

Wie wichtig ist bei der Offboarding-Team-Retrospektive das Thema Erfahrung?

Natalia Hoffmann-Demsing: Retrospektiven werden in agil organisierten Unternehmen vor allem in der Softwareentwicklung durchgeführt. Nach einem sogenannten Sprint findet alle 14 Tage eine Retrospektive statt, die vom Scrum Master oder Agile Coach moderiert wird. Das Team hat die Aufgabe, die Zusammenarbeit während des letzten Sprints zu reflektieren (was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen, was kann so bleiben) und Lösungen für Probleme zu finden. Das Ziel ist es, Probleme in der Entstehung zu lösen, Verbesserungsvorschläge auszuprobieren, die Produktivität zu steigern und zu lernen.

Wenn man das Ziel der Retrospektive versteht und bereit ist, ca. 60 Minuten zu investieren, kann diese Methode von jedem Team adaptiert werden. Egal ob das Unternehmen agil oder hierarchisch organisiert ist.

Im wertschöpfenden Offboarding-Prozess ist die Methode schnell erklärt und umgesetzt. Ein erfahrener und entsprechend geschulter Teamcoach/Moderator ist zwingend erforderlich, um durch die richtigen Fragen und lösungsorientiertes Handeln wertschöpfende Erkenntnisse zu generieren.

Übrigens: Team-Retrospektiven können sowohl offline, d.h. live vor Ort mit Fliphart und Post-it’s, als auch online mit einem digitalen Whiteboard durchgeführt werden.

Wer könnte noch Input für das Job-Feedback liefern?

Natalia Hoffmann-Demsing: Grundsätzlich schlägt der/die ausscheidende Mitarbeiter:in die Teamkollegen für die Team-Retrospektive vor, d.h. die gewünschten Kolleginnen und Kollegen (max. drei) werden aktiv angesprochen, ob sie Feedback geben und annehmen möchten. Da Feedback immer freiwillig ist, kann die Einladung auch abgelehnt werden. Dann werden einfach andere Kolleginnen und Kollegen gefragt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Kollegen aktuell oder in der Vergangenheit mit dem ausscheidenden Mitarbeiter zusammengearbeitet haben. Wenn jemand nicht an der Retrospektive teilnehmen kann und Feedback geben möchte, kann er dies bilateral tun. Die Team-Retrospektive lebt davon, dass alle in einem (virtuellen) Raum zusammen sind und Vertraulichkeit herrscht. Die Vegas-Regel gilt auch und gerade hier.

Wie wichtig ist das gegenseitige Interesse am Austausch für ein strukturiertes Offboarding?

Natalia Hoffmann-Demsing: Freiwilligkeit ist das oberste Gebot für Feedback jeglicher Art, also auch für die Team-Retrospektive zum Zeitpunkt der Verabschiedung.

Wichtig ist, dass das Unternehmen die Team-Retrospektive als Teil des neuen Offboarding-Prozesses definiert. Vertrauen lässt sich jedoch nicht verordnen. Deshalb ist es gerade bei der Einführung der Team-Retrospektive wichtig, das WARUM deutlich zu machen. Im Idealfall sagt das Unternehmen konkret, was es erreichen will und warum. Kämpft das Unternehmen z.B. mit einer überdurchschnittlich hohen Fluktuation, findet es immer schwerer dringend benötigte Fachkräfte und/oder wird immer deutlicher, dass die Mitarbeiterzufriedenheit schlecht ist? Diese Themen klar zu benennen ist elementar. Verbunden mit der Botschaft, dass das Unternehmen lernen will, um sich nachhaltig zu verbessern. Das Unternehmen erklärt, dass es dort ansetzt, wo es die größte Ehrlichkeit vermutet: beim Austritt. Denn nie haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger zu verlieren, als wenn sie sich entscheiden zu gehen. Das Unternehmen muss den unbedingten Willen haben, die Ergebnisse der Team-Retrospektiven, also das Feedback der Teams, ernst zu nehmen und in der Folge gemeinsam mit den Mitarbeitenden konkrete Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. ACHTUNG: Feedback nur einholen, wenn man bereit ist, es auch anzunehmen und daraus zu lernen. Die Frustration ist umso größer, wenn die Erwartungen der Belegschaft, dass sich nun etwas zum Positiven verändert, nicht erfüllt werden.

Wenn ein ausscheidender Mitarbeiter oder eine ausscheidende Mitarbeiterin kein Interesse an einem Teamfeedback hat, ist diese Entscheidung ohne Wenn und Aber zu respektieren. Das Geben und Nehmen von Feedback ist freiwillig. Wenn der Arbeitgeber an dieser Stelle auf die Einhaltung des Prozesses besteht, gefährdet er seine Glaubwürdigkeit. Es ist aber durchaus sinnvoll, die Team-Retrospektive ohne den ausscheidenden Mitarbeiter durchzuführen. Denn er oder sie ist vielleicht nur die Spitze des Eisbergs. Er hat gekündigt oder wurde gekündigt. In beiden Fällen gab es gute Gründe. Diese betreffen nicht nur den ausscheidenden Mitarbeiter, sondern das gesamte Team.

Ein Beispiel: Wenn ein Blechschlosser wegen seines cholerischen Produktionsleiters kündigt und ohne ein Wort zu verlieren einfach weggeht, arbeiten die verbliebenen Kollegen weiter mit ihm zusammen. Sie leiden vielleicht genauso unter ihm und haben nur noch nicht gekündigt. Sicher leidet ihre Arbeit, vielleicht sabotieren sie ihn und schaden damit dem Unternehmen.

Wenn Sie sich jetzt fragen, ob es Team-Retrospektiven nur in einer idealen Welt gibt, dann kann ich das verneinen. In agil organisierten Unternehmen sind regelmäßige Retrospektiven gelebter Standard. Sie sind die Voraussetzung für iterative Entwicklung. Also die kontinuierliche Verbesserung in kleinen Schritten.

Hinweise:

[1] Laut einer Kienbaum-Studie aus dem Jahr 2021 haben 48 % der befragten Unternehmen keine klar ausgearbeitete Offboarding-Strategie.
[2] Gallup-Studien der letzten Jahre, Towers Watson von 2014, University of Iowa von 2014 sowie IBM von 2013.
[3] Arbeitgeber-Comeback nicht ausgeschlossen
[4] Betriebswirtschaft / Offboarding, Prof. Dr. Nicole Richter / Lisa Seegmüller

Arbeitszeugnisse erstellen in agilen Organisationen

Wollen Sie mehr über das Thema wertschöpfendes und wertschätzendes Offboarding erfahren? Dann empfehlen wir Ihnen gerne das Buch Arbeitszeugnisse erstellen in agilen Organisationen von Natalia Hoffmann-Demsing. Und wenn Sie sich mit Frau Hoffmann-Demsing austauschen wollen, dann lohnt sich ein Besuch auf ihrer informativen Website.

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Natalia Hoffmann-Demsing
Natalia Hoffmann-Demsing

Natalia Hoffmann-Demsing ist HR-Mentorin, selbständige Business Coach und liebt Menschen. Ihre Mission ist es, die Mitarbeiterzufriedenheit in Unternehmen zu steigern und die Fluktuation zu reduzieren. Strukturiert, Schritt für Schritt. Sie geht dabei in die Tiefe, arbeitet die pain-points heraus und unterstützt Unternehmen dabei ihren ganz individuellen Weg zu einer begeisterten Belegschaft zu gehen.

Sie arbeitet seit vielen Jahren mit Unternehmen unterschiedlichster Branchen, wie Industrie, Telekommunikation und das Finanzwesen. Sie ist ausgebildeter systemischer Business-Coach, lizensierte MBTI-Trainerin, Trainerin (IHK), Agile Coach und Fachbuchautorin (Haufe und ManagerSeminare).

Sie versteht sich als Bindeglied zwischen der traditionellen und der agilen Arbeitswelt und bewegt sich spielerisch zwischen den Welten. Im Zentrum ihres Wirkens steht stets der Mensch und die Schaffung von Rahmenbedingungen, in denen Menschen ihre Stärken wirksam einbringen und intrinsisch motiviert arbeiten können.