Lebt Design Thinking noch?

Gastbeitrag von | 17.01.2022

Ich beginne mit einer Gegenfrage: Was verstehen SIE unter Design Thinking?

Wenn Sie sich unter dem Begriff “Design Thinking” 5-10 Personen in einem Raum voller Post-It-gepflasterter Planwände, bunter Moderationskarten und Kisten voller Lego-Steinen unterschiedlicher Farben, Formen und Größen vorstellen – dann sind Sie bei mir an der falschen Adresse.

Dies ist nur eine Ausprägung, wie man Design Thinking zum Beispiel für einen Innovationsworkshop nutzen kann. Design Thinking ist so viel mehr. Dafür muss man aber erst mal verstehen, was wirklich dahinter steckt.

Warum Design Thinking für mich nichts mit Innovation zu tun hat und was Ihre nächste Power-Point-Präsentation mit der Überwindung von Silodenken zu tun hat, erfahren Sie in diesem Artikel.

Design Thinking ist eine Denkweise – und nicht (nur) eine Vorgehensweise

Design Thinking, wie es die meisten Nicht-Designer kennen, ist der Versuch, die Herangehensweise eines Designers an die Produktentwicklung in Methoden zu verpacken, die auch von Nicht-Designern angewandt werden können. Das Problem dabei: Durch diese teilweise sehr starre, methodische Vorgehensweise geht viel von dem eigentlichen “Design-Gedanken” verloren. Der Begriff “Design Thinking” kommt nämlich von “Think like a designer” – also “Zu denken, wie ein Designer”. Und wie denkt ein Designer?

Wenn ein Designer ein Produkt entwickelt (und darum geht’s am Ende des Tages), dann muss er als zuerst verstehen, für WEN er dieses Produkt designt. “Für jedermann” ist übrigens meistens nicht die anvisierte Zielgruppe. Auch wenn es um Alltagsprodukte wie Wasserkocher, Töpfe oder ähnliches geht: Es steckt immer eine ganz bestimmte Zielgruppe dahinter, die durch Eigenschaften wie “anspruchsvoll”, “praktisch”, “sportlich”, aber auch durch Situationen, in der das Produkt verwendet wird, wie “in der Schwimmhalle”, “beim Einkaufen” oder “in einer kleinen WG-Küche” beschrieben werden kann.

In diese Zielgruppe taucht der Designer anschließend ein. Er versucht zu verstehen, wie diese Zielgruppe denkt, was ihr wichtig ist und wie ihr Leben aussieht. Wenn er die Zielgruppe vollends verstanden hat, versucht er, durch verschiedene Ansätze die Probleme der Zielgruppe zu lösen und ihre Bedürfnisse durch funktionelles, aber auch optisches oder haptisches Design zu erfüllen.

Auch im Marketing ist die richtige Zielgruppenansprache der Schlüssel. Wenn (überspitzt dargestellt) eine Werbeanzeige für eine Schlagbohrmaschine pink ist, weil die Art Direktorin diese Farbe so gern mag, dann trifft das vielleicht nicht unbedingt den Geschmack von kernigen Heimwerkern.

Und nichts anderes gilt für Ihre Power Point-Präsentation:

Das Publikum interessiert sich nicht für die Details Ihres Fachbereichs

Allzu oft höre ich von Menschen aus Dienstleistungsunternehmen, dass Präsentationen bei Kunden nicht gut ankommen. Vorgehensweisen werden genauestens erklärt und das technische oder fachliche Know-how des Teams betont. Und der Kunde? Der ist enttäuscht, weil er eigentlich nur “etwas sehen wollte”. Wochenlange Vorbereitung auf den Termin, viel Blut, Schweiß und Tränen. Der Dienstleister hat die Präsentation aus SEINER Sicht gehalten, also über das gesprochen, was IHM wichtig und aus seiner Sicht relevant ist. Der Dienstleister redet also zum Beispiel im Fall von Software-Agenturen über aufwendige Datenmodelle, ausgefeilte Algorithmen und die Vorteile des verwendeten Technologie-Stacks – einfach, weil ihn das in seiner Arbeit in den letzten Wochen beschäftigt hat.

Und der Kunde? Der hat von all den Sachen überhaupt keine Ahnung. Er kann nicht einschätzen, wie zukunftssicher der Technologie-Stack ist, wie viel Arbeit ein richtig gutes Datenmodell macht und wie viel Zeit ein BPMN-Prozess-Diagramm in Anspruch nimmt. Und ganz ehrlich: Das interessiert ihn auch nicht. Er will wissen, wie das Ergebnis aussieht.

In die Schuhe des Publikums schlüpfen – leichter gesagt als getan

Nun könnte man argumentieren, dass das ja alles noch viel zu früh ist, um etwas zu zeigen. Dass es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Sinn ergibt, weil ja noch viel zu viele Fragen ungeklärt sind. Und man TUT doch etwas hinter den Kulissen, und zwar nicht wenig.

Indessen dürfen Sie sich bei der nächsten Präsentation einmal davon lösen, was Sie für wichtig und relevant halten. Sie dürfen sich fragen: Was will mein Publikum sehen? Welches Fachwissen hat mein Publikum? Wo steht es gedanklich? Und wenn das Publikum 4 Wochen nach Projektstart schon etwas “sehen” will: Dann sollten Sie Möglichkeiten finden, etwas zu zeigen – auch wenn das aus Ihrer Sicht “völliger Quatsch” ist. (Das sollten Sie übrigens dann auch nicht erwähnen – kommt meistens nicht gut rüber).

That’s it: Das ist Design Thinking. Sich in die Person(en) hineinversetzen, für die Sie etwas kreieren, sei es eine innovative und vollautomatisierte Blumenvase oder eine schnöde Power-Point-Präsentation beim nächsten Meeting. Und das beantwortet auch die Frage zu Beginn: Design Thinking lebt noch und es wird immer leben.

Übrigens: So einfach es klingt – so schwer ist das manchmal auch. Ich bin da keine Ausnahme. Seine eigenen Bedürfnisse, Vorlieben und Probleme völlig außen vorzulassen und etwas ausschließlich aus der Perspektive der Ziel-Person(en) zu erstellen, erfordert viel Disziplin, Hirnschmalz und Empathie. Methodenbücher und Workshop-Leitfäden können dabei helfen, aber nur wenn die Grundhaltung stimmt.

Mit Design Thinking Silodenken überwinden

Gehen wir jetzt gedanklich wieder in den Kontext der Produktentwicklung, dann kann Design Thinking dabei helfen, Silos in Organisationen aufzubrechen. Menschen, die bereits an Design Thinking Workshops teilgenommen haben, berichten von der besonderen Power der Teamarbeit, bei der Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammen kommen und innovative Ideen erzeugen. Hier sollte die interdisziplinäre Zusammenarbeit jedoch nicht enden: Jeder Mitarbeitende hat eine andere Perspektive auf den Kunden und die Produkte im Unternehmen. Jede*r ist an einem Teil der sogenannten “Kundenreise” beteiligt – von Marketing und Akquise über Produktion bis hin zur Rechnungsstellung oder der Auslieferung. Somit kann jeder Mitarbeitende ein Teil zur Verbesserung der Kundenreise und damit zur Kundenzufriedenheit, Produktverbesserung und Weiterempfehlung beitragen – ganz egal an was er oder sie arbeitet und wie klein die Rolle am Wertschöpfungsprozess der Organisation scheint.

Die Bedeutung von Kollaboration

Die Ansprüche unserer Gesellschaft steigen von Jahr zu Jahr. Egal ob es im Bereich der Werbung ist, bei der Produktqualität, dem Kundenservice oder dem Branding. Die Globalisierung und die steigende Zahl der Internet-Nutzenden macht Unternehmen und Produkte leichter vergleichbar und auch angreifbar.

Kollaborative Zusammenarbeit im Unternehmen zur Optimierung des Kundenerlebnisses, ist nicht nur das wichtigste Mittel in der Zukunft – sondern tatsächlich auch das günstigste. Statt externe Berater einzukaufen, um die Produktion einmal auf Links zu krempeln, damit sie effizienter wird, können Organisationen zunächst einmal damit beginnen, die eigenen Mitarbeitenden in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess einzubeziehen. Dafür ist es wichtig, dass die Unternehmenskultur dies zulässt und das Management Veränderung und Verbesserung vorlebt – ohne Druck. Denn nur intrinsisch motivierte Veränderung bleibt nachhaltig verankert und verbessert auch wirklich den Status Quo.

Die einfachste Frage aus dem Design Thinking, um großartige Ergebnisse zu schaffen

Verbinden Organisationen nun den Aspekt der Zusammenarbeit unterschiedlicher Bereiche mit Design Thinking bzw. dem “Designer-Denken”; also für die Entwicklung von Produkten und Services in die Schuhe seiner Anwender zu schlüpfen, entstehen nicht nur Innovationen, sondern einfach verdammt gute Kundenerlebnisse mit dem eigenen Unternehmen.

Gute Kundenerlebnisse fangen bei kleinen Gesten an und hören bei einem hervorragenden Support nicht auf. Bei Verbesserungen denken wir oft an Prozessautomatisierungen, schnell-antwortenden Chatbots oder High-End-Anlagen. Dabei lohnt es sich oft, auch einfach mal die Verbesserungen im Kleinen zu suchen: Welche Ideen erzeugen einen hohen Nutzen bei geringem Aufwand? Die Beantwortung dieser Frage ist Teil des Design Thinking-Prozesses. Ich verwende sie grundsätzlich immer in Softwareprojekten mit meinen Kunden für die Auswahl von Features. Sie lässt sich in jedem Kontext anwenden – probieren Sie’s aus!

 

Hinweise:

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Franziska Toth
Franziska Toth

Franziska Toth ist Wirtschaftsinformatikerin und seit vielen Jahren als IT-Beraterin unterwegs. Viele kleine Unternehmen müssen mit wachsender Mitarbeiterzahl das operative Geschäft digital unterstützen, um die zunehmende Komplexität im Unternehmen zu bewältigen. Als externe Projektleiterin unterstützt sie die Unternehmer als Stabsstelle bei der Planung, Umsetzung und Einführung neuer digitaler Tools – immer in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden. Dadurch können sich die Unternehmer auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und müssen keine Angst haben, dass ihnen beim Go-Live alles um die Ohren fliegt und der Frustpegel der Mitarbeitenden am Limit ist.