Der Kunde ist König
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie hören: „Der Kunde ist König“? Vielleicht: „Das ist ein alter Hut.“ Oder: „Das behaupten doch alle!“ Vielleicht auch: „Stimmt gar nicht. Der Mitarbeiter ist König.“ Es wird Sie vermutlich nicht überraschen, aber alle diese Antworten stimmen. Zumindest in Teilen. Leider ist die schlechte Nachricht, dass der Kunde in der Praxis nur selten wirklich König ist. Bestimmt fallen Ihnen viele Beispiele ein, in denen Sie sich nicht wie ein König gefühlt haben. Ich werde Ihnen auch einige Beispiele nennen, aber nicht mit dem Ziel, „andere an einen Pranger zu stellen“, sondern mit einem Appell und einer guten Nachricht im Hinterkopf.
Der Kunde ist nur selten dauerhaft König
Unternehmen befinden sich miteinander im Wettbewerb. Sie werben mit ihren Produkten und Dienstleistungen um Kunden, Gäste, Nutzer, Passagiere, Anwender – gefühlt gibt es für Kunden fast unendlich viele Synonyme. Größer, schneller, weiter, besser, günstiger, glücklicher, erfolgreicher, effizienter, gesünder – viele solcher Eigenschaften werden angepriesen. Es werden Vorteile beworben und Werte versprochen.
Natürlich ist es „normal“, dass sich Unternehmen um Kunden bemühen. Und es ist auch normal, dass in der Akquise blumige Worte verwendet werden. Sicherlich können sich Kunden in diesen Phasen im übertragenen Sinne wie Könige fühlen. Doch in meiner persönlichen Einschätzung ist diese Phase bei vielen Unternehmen nicht von Dauer. Hier einige Beispiel:
- Ein großes Telekommunikationsunternehmen offeriert seinen Bestandskunden, die Internetgeschwindigkeit von 50 Mbit/s auf 250 Mbit/s zu erhöhen, ohne die monatlichen Gebühren zu erhöhen. Klingt gut, oder? Allerdings erhöhen sich die Gebühren lediglich die ersten 24 Monate nicht, danach steigen sie planmäßig um fast 20 Euro pro Monat.
- In einem Fitnessstudio sieht der Mitgliedsvertrag automatisch eine jährliche Anpassung der Mitgliedsgebühr um 1,50 Euro pro Monat vor. Klingt nicht nach viel, oder? 1,50 Euro pro Monat sind 18 Euro pro Jahr. Jedes Jahr. Je länger der Vertrag läuft, desto höher wird der Mitgliedsbeitrag.
- Ein TV-Bezahlsender bietet einzelne Spartenkanäle für 24,99 Euro pro Monat an. Laufzeit: 12 Monate. Danach folgt eine automatische Anpassung auf 49,99 Euro.
Natürlich könnten Sie mit Recht einwenden, dass es einen Wettbewerb gibt und niemand die Kunden zwingt, diese Angebote anzunehmen. Stimmt. Zumal es Konkurrenzangebote zu besseren Konditionen gibt: ein anderes Telekommunikationsunternehmen bietet 1 Gbit/s zu einem deutlich niedrigeren und auch gleichzeitig auch konstanten Monatspreis an. Ein alternatives Fitnessstudio kostet weniger als die Hälfte, hat längere Öffnungszeiten und mehr ausgebildete Trainer. Und so mancher Streaming-Anbieter offeriert sein Programm für weniger als 8 Euro pro Monat.
Der Kunde soll gar nicht König sein
Vor kurzem habe ich einige Artikel und Meinungen gelesen, in denen behauptet wird, der Kunde sollte gar nicht König sein. Unter anderem wurden folgende Gründe angeführt:
- Eine gleichwertige Geschäftsbeziehung basiert auf gegenseitigem Respekt.
- Eine starke Marke muss sich nicht anbiedern, sondern kommuniziert auf Augenhöhe.
- Mit einer klaren Position können Hersteller auch Nein sagen.
- Unternehmen und ihre Mitarbeiter sind keine Bediensteten.
Natürlich kann man über jeden dieser Punkt diskutieren. Und jede Aussage hat auch einen Kern, den Sie und ich mit ziemlicher Sicherheit nachvollziehen können. Doch in der Summe halte ich von den Punkten: NICHTS. Aus einen einfachen Grund: sie verkehren die Rollen. Viele Unternehmen können sich ihre Kunden nicht aussuchen. Im Gegenteil: sie werden von Kunden ausgewählt. Wie der Name es bereits ausdrückt: Unternehmen sind Dienstleister, sie leisten einen Dienst und bieten Services an. Oder sie sind Hersteller und produzieren Produkte, die Funktionen – in anderen Worten Dienste – für Kunden bereitstellen.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte nicht propagieren, dass Hersteller und Dienstleister jegliche Kundenwünsche erfüllen müssen. Die meisten Unternehmen könnten dies nicht einmal, wenn sie es wollten. Ich bin ein Freund von klaren Unternehmenspositionen bzw. Marken. Aber ich finde es erstrebenswert, Kunden wie Könige zu behandeln, denn aus meiner Sicht bedeutet dies bspw.
- sich für die Bedürfnisse der Kunden ernsthaft zu interessieren, um dafür gute Produkte und Dienstleistungen anzubieten.
- Kunden nach Feedback zu fragen und dieses so gut wie möglich zu nutzen.
- Kunden die Wahrheit zu sagen und damit Dinge, die sie vielleicht wissen, aber gar nicht gerne hören.
- dauerhaft die Interessen von Kunden im Blick zu behalten.
Diese Punkte führen idealerweise zu einer guten und gesunden Geschäftsbeziehung. Die gleichwertige Geschäftsbeziehung ist also für mich eine Konsequenz und keine Voraussetzung.
Es gibt übrigens einen einzigen Grund, warum Kunden nicht Könige sind: Könige müssen nichts bezahlen, Kunden hingegen schon. Und das ist auch gut so … 😉
Ist der Mitarbeiter der wahre König?
In die Diskussion um die Rolle von Kunden mischt sich auch immer wieder die Diskussion um die Bedeutung von Mitarbeitern. Wer ist wichtiger für den Erfolg von Unternehmen: die Mitarbeiter oder die Kunden? Drei Meinungen lassen sich gruppieren:
- Die Mitarbeiter sind wichtiger, denn ohne ihre Arbeit und Leistung könnten Unternehmen keine Produkte oder Dienstleistungen verkaufen. Ohne Mitarbeiter gäbe es keine Kunden. Demzufolge sind Mitarbeiter die wahren Könige.
- Die Kunden stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Unternehmen. Sie bezahlen Rechnungen und somit auch die Gehälter der Mitarbeiter. Ohne Kunden braucht es keine Mitarbeiter. Somit bleibt der Kunde König.
- Die Wahrheit liegt in der Mitte: Mitarbeiter und Kunden sind gleich wichtig und bedingen einander. Ohne die jeweilige andere Seite können sie nicht existieren. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Oder anders formuliert: Mitarbeiter und Kunden sind Könige.
Wer ist für Sie wichtiger? Mitarbeiter oder Kunde? Für mich sind die Mitarbeiter von Unternehmen die Voraussetzung, damit diese überhaupt Kunden gewinnen können, wobei das nichts an meiner Einschätzung ändert, dass der Kunde König ist bzw. sein sollte.
Mein Appell und die gute Nachricht
Steve Jobs wird nachgesagt, dass er überall wo er sich aufhielt, Möglichkeiten der Verbesserung entdeckte.¹ Er skizzierte bessere Abläufe auf Servietten. Er identifizierte Potentiale für neue Produkte, in dem er Menschen beobachtete. Vielleicht geht es Ihnen manchmal ähnlich:
- Sie checken in einem Hotel ein und wundern sich, warum Sie die Daten Ihres Personalausweises in ein Formular des Hotels übertragen müssen, während der Angestellte an der Rezeption Ihnen dabei zusieht.
- Sie fragen sich, warum Sie einen Mietwagen in einer Garage am anderen Ende der Stadt abholen und wieder abliefern müssen, während Car Sharing Anbieter ein Geschäftsgebiet definieren, in dem Sie den Mietwagen dort abholen, wo er geparkt wurde und nach Ihrer Miete einfach dort parken, wo es für Sie am angenehmsten ist. Vielleicht fragen Sie sich auch, warum Sie vier Unterschriften leisten müssen, um ein Auto anzumieten, während es beim Car Sharing mit einem Klick funktioniert.
- Sie wundern sich, warum Streaming-Dienste ihre monatlichen Beiträge innerhalb von wenigen Jahren verdoppeln und dies mit einem verbesserten Angebot begründen, das Sie aber gar nicht wahrnehmen oder nutzen werden.
Offensichtlich ist es gar nicht so schwierig, Potenziale bei „anderen“ Organisationen und Unternehmen zu entdecken. Die gute Nachricht lautet: auch bei Ihnen gibt es diese Potenziale. Sie müssen sie lediglich entdecken. Dazu gibt es grundsätzlich drei Optionen:
- Sie beobachten und hinterfragen sich selbst.
- Sie beobachten den Wettbewerb und übernehmen alles, was wirklich gut ist.
- Sie befragen Ihre Kunden oder potenzielle Kunden.
Konkret könnten sich bspw. fragen, ob Sie Ihr eigenes Produkt, dass Sie jedem Kunden empfehlen, auch tatsächlich intern nutzen. Manchen Sie das? Ja, nein, vielleicht? Wie gefällt es Ihnen? Was müsste geschehen, dass es zum weltbesten Produkt seiner Art wird? Und falls Sie es nicht nutzen: warum nicht?
Es ist sicherlich eine gute Idee, den Wettbewerb im Blick zu haben. Welche neuen Angebote bietet der Wettbewerb an? Welchen Nutzen propagiert er? Wo liegen Vorteile im Vergleich zu eigenen Produkten oder Dienstleistungen? Und warum entscheiden sich potenzielle Kunden für andere Anbieter?
Und last but not least mein Appell: befragen Sie Ihre Kunden. Machen Sie es am besten zu einer regelmäßigen Aufgabe. Beginnen Sie am besten JETZT damit. Nehmen Sie Ihren Telefonhörer in die Hand, schreiben Sie eine Mail, nehmen Sie Kontakt auf. Ich bin sicher, Sie werden viele wertvolle Informationen und auch gute Ideen als Antwort erhalten. Und wissen Sie, was Sie implizit dadurch tun? Sie behandeln Ihre Kunden wie Könige!
Hinweise:
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[1] Steve Jobs soll auch gesagt haben: „Man kann die Kunden nicht fragen, was sie wollen, und versuchen, es ihnen zu geben. Wenn du es dann fertiggestellt hast, wollen sie schon wieder etwas Neues.“
Michael Schenkel hat im t2informatik Blog weitere Beiträge veröffentlicht, u. a.
Michael Schenkel
Leiter Marketing, t2informatik GmbH